Die Hexen - Roman
empfangen.
Aber sie war nie gesegnet worden. Morrigan hatte sie nicht gewollt.
»Trinkt!«, wisperte sie ihrem Mann heiser zu. »Leert diesen Kelch bis auf den Grund!«
Der Rache wegen hatte sie geheiratet – dann erst war die Liebe zu ihr gekommen. Vielleicht glaubte die Göttin, dass dieses späte Geschenk ihren Zorn besänftigte, aber Elinor hatte zu lange mit dem Groll gelebt, um zu verzeihen. Rasch hatte sie erkannt, dass die Festung auf dem Felsenkamm wie für ihre Absichten geschaffen war. Hier konnte sie sich zurückziehen und von den erlittenen Kränkungen erholen, hier konnte sie sich die Ruhe gönnen, die sie benötigte, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.
Durch die Schießscharte musterte sie den unförmigen Turm, den die Feinde während der letzten Wochen gebaut hatten. Die Belagerung versprach, auf Jahre hinaus ein Ärgernis zu werden. König Constantin hatte Gräben ausheben lassen, in denen Armbrustschützen auf der Lauer lagen. Dahinter reihten sich die Rundzelte seiner Ritter. Bei Tage tummelten sich dort Reiter, Rösser und Knappen mit bunten Wimpeln. Der Zeltplatz war zur Rückseite hin von dunklen Tannen umstellt. Constantins Krieger schützten Handwerker, die im Begriff standen, einen Halsgraben auszuheben, eine Zisterne anzulegen und sowohl den Zwinger als auch einen dreistöckigen Wohnturm aufzumauern. Vor den Augen der Bewohner von Hœnkungsberg entstand eine Belagerungsburg, ausgestattet mit einer großen Schleuder, deren Geschosse bereits die Holzbrücke über der Klamm zerschmettert hatten. Die gegnerische Trutzburg war ein Hindernis, das Elinors Pläne durchkreuzte. Auf den Wehrgängen und in der Waschküche, in der Schmiede und auf der Sternschanze sprach man von nichts anderem mehr.
Nachdenklich nahm sie Cedric den Becher aus der Hand, setzte das Gefäß an die Lippen und leerte es in einem Zug. Ihr beider Blut war vermischt mit Wein, man schmeckte es kaum.
»Kommt!«, sprach sie dann und führte ihren Gemahl zu dem fünfzackigen Stern. Sie zündete eine Fackel an und rammte das Ende in den Schnee. So fuhr sie fort, bis das Pentagramm hell erleuchtet war. Mit Ruß malte sie Cedric ein uraltes Zeichen auf die Stirn. Es sollte denjenigen, dem ihr Ruf galt, anlocken. Sie verschwieg ihrem Mann, dass man diese Rune Tieren in die Haut ritzte, um sie vor dem Altar als Opfer zu kennzeichnen. Wenn alles gutging, würde es in dieser Nacht kein Opfer geben. Wenn ihr Plan aufging, gewannen sie und der Marquis einen Verbündeten, dessen Macht ihre Gabe ergänzte. Gemeinsam würden sie Cedric zum neuen König ausrufen, während sie im Hintergrund blieben – verschwiegene, einflussreiche Schatten.
»Ich liebe Euch«, wisperte Elinor dem Marquis ins Ohr und stahl einen weiteren Kuss von seinen Lippen. »Nun vertraut mir und stellt Euch in das Pentagramm.«
In der freien Fläche standen sie einander gegenüber – ein Mann und eine Frau. Dann nahm Elinor ihre Drehleier aus der schützenden Hülle, streifte sich den Tragegurt über die Schulter und begann, die Kurbel zu drehen. Die ersten Töne durchdrangen die Nacht, überraschend energisch und schrill. Es war der Höhepunkt des magischen Akts, der Höhepunkt der Beschwörung, denn dieser Klang – das wusste Elinor durch ihre jahrelangen Studien – wurde sogar an jenem Ort gehört, an dem der verbannte Dämon ausharrte. Musik besaß eine ganz eigene Magie und jetzt erfüllte sie den Garten, den glitzernden Himmel, die mondlose Nacht.
Mit einem Schwung des Rads ließ Elinor die Saiten schnarren, ihre Finger drückten die Tasten und entlockten dem Instrument die Melodie, ihr Fuß klopfte den Takt. Sie sang ein trauriges Lied, ein schauriges Lied, das von Ton zu Ton sprang, und sie wusste, dass die Wände der alten Burg von diesem Gesang widerhallten. Von Strophe zu Strophe schwoll die Lautstärke der Drehleier an und ihre Stimme wurde greller. Unten im Zwinger schlugen die Hunde an. Jetzt würden sich die Mägde stöhnend in ihren Betten wälzen und sich die Fäuste auf die Ohren pressen, während die Wachen auf den Türmen stumm und immer verzweifelter beteten. Die Menschen auf der Burg hatten Angst vor ihr. Alle wussten, dass sie von den Frauen auf dem Odilienberg erzogen und in den geheimen Künsten gelehrt worden war. Hinter ihrem Rücken flüsterte man Bannsprüche oder Schimpfwörter und nicht wenige nannten sie eine Hexe.
Aber das war nur ein leeres Wort, sagte sich Elinor, während sich die Melodie in höhere Tonlagen schraubte, ein
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