Die Hexen - Roman
Wort, das keine Bedeutung hatte. Niemand auf Burg Hœnkungsberg wusste, wie wahre Hexenkunst aussah. Die meisten Menschen ahnten nicht, dass sie nur deshalb unter dem Schutz magischer Gaben lebten, weil sich das Rad der Geweihten drehte – Jahr für Jahr.
Der Marquis hing an ihren Lippen. Cedric liebte es, wenn sie sang. Schließlich hatte ein Lied ihn in ihr Schlafgemach gelockt und die Trauerzeit nach dem Tod der glücklosen Marquise beendet. Noch immer ahnte er nicht, welche Macht Gesang tatsächlich besaß. Denn der Teufel wohnte in der Musik und mit einem Lied lockte man ihn hervor.
Mit einem grässlichen Klang brach die Melodie ab, und Elinor riss eine Fackel aus dem Boden. Diesmal schrie sie den Namen desjenigen, dem die nächtliche Zusammenkunft galt, wirbelte die Fackel herum und senkte die Flamme. Ein Blitz zuckte auf und Cedric erschrak, als sich das Pulver in den Rillen mit einem Knall entzündete und zischend verbrannte. Für zwei oder drei Atemzüge schwelte der Stern im Garten der Burg, dann herrschten Stille und Dunkelheit. Schwefelgestank erfüllte den Hof. Blasser Qualm wehte über die Mauer und verflüchtigte sich.
Elinors Brust hob und senkte sich unter den Atemzügen. Sie lauschte. War es gelungen? Sie spürte einen irrsinnigen Übermut und den wilden Drang zu lachen. Nie hatte sie sich mächtiger gefühlt als in dieser Nacht. Gleichzeitig hatte sie Angst. Auch Cedric spürte, dass sich die Dinge verändert hatten. Er stand da und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an.
»Elinor.«
Als sie im Nacken ein rauchiges Raunen hörte, wurde ihr kalt. Langsam drehte sie sich um. Ein schwarzer Ritter stand hinter ihr. In voller Rüstung stützte er sich auf ein Schwert mit geschuppter Zackenklinge. Zwei Klauen, die sich kreuzten, bildeten die Parierstange, der Knauf bestand aus einem Drachenkopf mit blinden Augen. Das Schwert war aus Echsenhaut geschmiedet und mit Magie gehärtet worden, das erkannte Elinor sofort. Arme und Beine des Fremden waren von feinster Kette umhüllt, ein Brustharnisch aus demselben, schwarzen Metall schützte den Oberkörper, und die Gravur auf der Vorderseite zeigte einen Skorpion mit tödlich aufgerichtetem Stachel. Von den Schultern fiel der Mantel fast bis zum Boden. Das Gesicht des Fremden war unter einem Visier mit balkenförmigem Sehschlitz verborgen. Eine grelle, lebhafte Flamme loderte anstelle der üblichen Helmzier, Funken verzierten die Sporen und unter den kahlen Bäumen graste ein schwarzes Ross.
»Ihr habt gerufen«, stellte der unbekannte Ritter fest. Mit einer Bewegung aus dem Handgelenk ließ er das Schwert hochwirbeln, bis die Spitze auf den Marquis zeigte. Die Flammen auf dem Helm loderten bei jeder Bewegung und spiegelten sich auf den Schuppen, die die Klinge bedeckten. »Ich sollte kommen, um ihn zu töten.«
Elinor erschrak. »Nein … Nicht ihn, sondern die Krieger des Königs, die am Fuß der Burg lagern.«
»Aber er trägt das Zeichen.« Die Schwertspitze zeigte unbeirrt auf die Stirn des Marquis.
Cedric wurde blass. »Ein Zeichen? Was für ein Zeichen?«, stieß er hervor. Dann dämmerte ihm das ganze Unglück. Heftig begann er an der Rune zu reiben, doch das rußige Mal verwischte nicht, sondern begann zu bluten. Cedric ließ die Hand sinken und starrte auf seine glänzenden Finger. Dann sah er Elinor an. »Meine Geliebte, was … was habt Ihr getan?«
In diesem Augenblick wünschte sie, dass sie niemals in den geheimen Künsten der Magie geschult worden wäre. Dann wäre sie nur eine Frau mit einer wilden Gabe, weder ausgebildet in weißer Hexenkunst noch erprobt, was verbotene Zauberei betraf.
»Es ist nur ein Zeichen«, stieß sie hervor, »nur ein Zeichen, das für etwas anderes steht … für unsere Feinde! Aber irgendein Opfer musste ich bringen, sonst wäre er nicht erschienen.«
»Und da habt Ihr … mich …« Betroffen brach der Marquis ab. Dann zog er das Schwert und wandte sich an den schwarzen Ritter. »Kommt und holt mich, wenn Ihr Tribut verlangt. Aber seid gewiss: Dies ist meine Burg, es ist meine Frau und es ist mein Leben und nichts davon ist leicht zu haben!«
»Ihr irrt Euch, werter Marquis«, sagte der Fremde sanft. »Eure Gemahlin wünscht Euch tot zu sehen.«
»Beleidigt die Marquise de Hœnkungsberg und Ihr lernt meine Klinge kennen!«, drohte Cedric. Drohend ging er dem Feind entgegen, der noch immer breitbeinig und gelassen dastand. Elinor warf sich zwischen die beiden Gegner.
»Nein! Nein! Unsere Feinde
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