Die Hexen - Roman
hinter der magischen Täuschung verschwunden wie die Türme, der Zwinger und der Bärengraben.
Der Marquis hielt sich nicht schlecht. Trotz der ungleichen Verteilung von Muskelmasse und in Stahl gewirkter Magie wich er dem Gegner immer wieder aus und schlug dessen Schwertstreiche zurück.
Aber der schwarze Ritter spielte nur. Als er genug hatte, täuschte er einen Rückzug vor, doch unter der abwehrend erhobenen Schildhand stach das Schwert zu. Die Klinge des Marquis verhakte sich in den Schuppen und durch einen Ruck brach der Griff um das Heft. Augenblicklich fuhr die Drachenklinge in Cedrics linke Halsseite. Das Blut zischte und verdampfte auf der Klinge, als der Fremde sie aus der Wunde zog. Der Getroffene röchelte. Das Schwert fiel ihm aus der Faust, ehe er zu Boden ging. Mit jedem Herzschlag pulsierte mehr Blut aus der Wunde und füllte die Rinnen des Pentagramms.
»Cedric – nein!« Mit einem Aufschrei stürzte Elinor zu ihrem Mann. Der Garten, die Mauer und die vereisten Bäume verschwammen vor ihren Augen. Sie fiel auf die Knie, nahm seine Hand und bedeckte sie mit verzweifelten Küssen, ehe sie die Finger an ihre Brust drückte. Cedrics Atem ging stoßweise. Die schwarze Rune prangte auf seiner Stirn und mit jedem Wort spuckte er Blut. »Sagt … mir … ist es … wahr? Gab … gab es da … ein ungeborenes Kind?«
Sie senkte den Kopf. Der Marquis war der einzige Mann, den sie wirklich geliebt hatte. Nun erkannte sie, dass diese Liebe kein Geschenk der Göttin war, sondern die Strafe, die Morrigan sich für eine ungehorsame Zauberin ersonnen hatte.
»Es ist nicht wahr. Kein Wort davon«, stieß sie hervor und hob den Kopf.
Die Augen des Marquis’ blickten starr geradeaus. Von den Lippen stieg kein Frosthauch mehr auf. Sie hatte einen Toten belogen.
»Steh auf!«, befahl der schwarze Ritter hinter ihr. »Von jetzt an soll deine Seele mir gehören – deine schwarze, verdorbene Seele, die du so gerne Morrigan überlassen hättest. Ich könnte ebenso gut wie sie eine Verbündete in dieser Welt gebrauchen. Jemanden wie dich: eine Meuchlerin und Intrigantin, die den Marquis und seine Familie ohne Zögern für ihr eigenes Wohl opferte.«
Elinor fuhr herum und streckte dem Feind die Hexenklinge entgegen. »Ha! Du willst dich meiner magischen Gabe bedienen?«, schrie sie. »Komm und hol sie dir! Ein Stich mit meinem Dolch, und du bist für immer verdammt!«
Der schwarze Ritter lachte wieder. Er hielt das Pferd fest und rammte das Schuppenschwert zurück in die Scheide, die am Sattel hing. Dampf wallte von den Flanken des Rappen empor, das Fell war vom Schweiß verklebt. Auf dem Schild zeigte sich ebenfalls der bedrohliche Skorpion, mit feinsten Rillen ausgeführt. »Du gewinnst keine Macht über mich, Hexe! Begreife doch: Du hast mich nicht gerufen. Du hast nur ein Tor geöffnet, das lange verschlossen war.«
Der Fremde deutete auf den Fünfzackstern, der blutrot schimmerte. Geschickt löste er die Schnüre unter dem Kinn und nahm den Helm ab.
Elinor ließ die Hand des toten Marquis los. Die Züge des Fremden waren schweißüberströmt und mit Spuren von Rost und Ruß bedeckt – ein Ritter nach dem Kampf. Gleichzeitig besaß er das schönste Gesicht, das sie je im Leben gesehen hatte. Er wirkte wie ein trauriger, strenger Engel und war auf unschuldige und anziehende Weise begehrenswert.
»Was ist nur mit dir, Elinor?«, fragte er. »Du starrst mich an, als hättest du mich noch nie gesehen. Dabei kennen wir uns schon so lange.«
Mit elegantem Schwung sank er vor ihr auf ein Knie, umfasste ihr Handgelenk und bog ihr die Finger auseinander, so dass der Dolch zu Boden fiel. Dann drückte er seine Lippen auf die Innenfläche ihrer Hand.
Elinor schrie auf. Wie ein glühendes Eisen versengte ihr der Kuss des Teufels die Haut, aber es gelang ihr nicht, sich loszureißen. Ein wulstiges Mal erschien auf der Haut, ein dunkler Tropfen rann über ihre Hand, fiel zu Boden und vermengte sich mit dem Blut des Marquis, das in den Rinnen des Pentagramms auskühlte. Sie sank zu Boden.
»Nun gehörst du mir!« Der Fremde erhob sich, umfasste Elinors Kinn und zwang sie, den Kopf zu heben. »Sei froh und lächle mir zu, schöne Elinor, denn ich werde die Herrschaft über diese Welt erlangen – viel besser und gründlicher, als Cedric es je gekonnt hätte!«
Elinor zitterte und rang nach Luft. Sie kniete im Schnee, ihr war übel und sie empfand am ganzen Körper Schmerzen, als hätte man sie mit Steinen beworfen.
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