Die Hexenadvokatin
Kopf gehen. Obwohl er durchaus seine Zweifel an der Wirksamkeit eines Unter-Vier-Augen-Gesprächs mit dem Landesherrn hatte, beschloss er dennoch, sich auf den Weg zu machen. Er kannte die Einstellung Maximilians, aber schaden würde sein Besuch wohl auf keinen Fall.
3. November 1603, in München
Als Wolfgang Friedrich mit seinem Reitknecht Florian in München eintraf, schaute er sich als Erstes nach einem sauberen Quartier um. In der herzoglichen Residenz war nicht viel Platz für Gäste, auch nicht für solche von Adel. Nur »hochfürstliche« Personen, sowie königliche und kaiserliche Gesandte konnten dort wohnen. Für alle anderen gab es ein eigenes, gut eingerichtetes und bequemes »Gesandtenhaus«.
Da der Graf die Anonymität aber schätzte, pflegte er im Allgemeinen in einem privaten Logierhaus zu nächtigen - selbst wenn ihn dies um ein Mehrfaches teurer zu stehen kam.
»Aber ich bin dort mein eigener Herr und werde beispielsweise nicht genötigt, bei Tisch ein genau vorgeschriebenes Gebet von einer bestimmten Länge zu absolvieren, ehe ich den Löffel in die Suppe tauchen darf«, pflegte er seiner Gattin zu erklären.
Und ob er zur täglichen Messe ging oder nicht, kontrollierte in den Gasthäusern auch niemand so genau. Dass er am Sonntag den Gottesdienst mitfeierte, war natürlich selbstverständlich.
Der Graf war durchaus ein frommer und gottesfürchtiger Mann, der akzeptierte, dass ein katholischer Herr von Adel dem niederen Volk stets ein Vorbild zu sein hatte. Auch die wohlhabenden Bürger mussten im Land Bayern den herzoglichen Beamten beweisen, dass sie gute Katholiken waren, indem sie ihnen auf Verlangen den alljährlichen österlichen Beichtzettel vorzeigten …
Dass der klerikale Wind jedoch noch schärfer als bisher in München wehte, spürte der Graf umgehend. Kaum war er in der Residenzstadt angekommen, fiel ihm auf, dass die Menschen beim Zwölfuhrläuten vom Turm der Peterskirche alles
liegen und stehen ließen, auf die Knie fielen, sich bekreuzigten und die Hände zum Gebet falteten. Er wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte.
Vorsichtshalber nahm er seinen Hut mit der Reiherfeder ab und legte halbherzig die Handflächen ineinander. Nach einer Weile erhoben sich Männer und Frauen wieder - manche grinsend - und gingen ihrer vorherigen Tätigkeit nach.
Der Wirt des Gasthofs Zum Schwarzen Bären im sogenannten Hackenviertel, in dem Wolfgang Friedrich abstieg, erklärte ihm dieses Phänomen.
»Das hat unser gnädiger Herzog Maximilian so angeordnet«, sagte er. »Und nicht nur einmal am Tag, sondern auch vormittags und abends beim Gebetsläuten. Ganz egal, was einer grad macht und wie das Wetter ist: Runter vom Wagen oder vom Ross und niedergekniet im Straßendreck.«
Als er sah, dass sein Gast verständnislos und unangenehm berührt den Kopf schüttelte, getraute er sich - wenn auch vorsichtig - Kritik an der neuen Verordnung zu üben.
»Ja, ja, Euer Gnaden! In Bayern herrschen jetzt ganz strenge Sitten. Unser Herr ist, wie’s scheint, noch frömmer als sein Vorgänger, Herzog Wilhelm, und beinahe schlimmer als ein Pfaffe.«
»Was heißt da Pfaffe?«, grollte der Graf. »Nicht einmal der Papst in Rom erlässt solche Gebote.« Im Geheimen rechnete Wolfgang Friedrich sich schon jetzt keinerlei Chancen aus für sein Gespräch mit dem Herzog.
»Am besten wäre ich wohl daheimgeblieben und hätte mir die Abfuhr, die Maximilian mir erteilen wird, erspart«, ging es ihm durch den Kopf.
»Ich glaube kaum, dass der Herzog ein Einsehen haben und den gefährlichen Jesuiten zurückpfeifen wird, ehe dieser Mensch größeren Schaden bei uns daheim anrichtet.«
Plötzlich fiel ihm sein verstorbener Sohn Rupert ein und ihm wurde auf einmal bang ums Herz. Er hatte unbedingt gewollt, dass sein Ältester in naher Zukunft in den Dienst des bayerischen Landesfürsten treten würde. Sein Ehrgeiz war schließlich auch der Anlass für den Riesenschwindel, den er sich mit seiner Tochter Alberta erlaubt hatte.
War es das wirklich wert? Wollte er allen Ernstes, dass einer seiner Sprösslinge diesem Herrscher diente, den er manches Mal verfluchte wegen seiner bigotten Frömmelei und gnadenlosen Strenge gegenüber Andersdenkenden?
Gewiss, auch er mochte die selbstgerechten Anhänger Luthers nicht, die sich in der Mehrzahl für die besseren Christen hielten. Aber musste man deshalb unbedingt versuchen, sie unbarmherzig auszurotten?
Weshalb nannte man sie »Ketzer« und »Ungläubige« -
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