Die Hexenadvokatin
ganz so, als handele es sich bei ihnen um gottlose Heiden? Natürlich glaubten auch sie! Und zwar an denselben Gott wie die Katholiken, an Jesus Christus, an den Himmel, die Hölle und an was nicht noch alles!
Und was war mit der fanatischen Verfolgung der Weiber, die man »Hexen« nannte? Soweit er wusste, ließ man diese armen Frauenzimmer in Italien, wo doch der Heilige Vater saß, weitgehend in Ruhe, zumindest solange sie keinen Schaden anrichteten.
Ja, selbst in Spanien, wo man zwar in fürchterlichen Autodafés die Häretiker und die ertappten Juden auf die Scheiterhaufen schickte, wurden Hexen in vergleichsweise geringer Anzahl verurteilt. Und das, obwohl dort die gefürchtete Inquisition fest in jesuitischer Hand war …
»Warum muss gerade in Deutschland und Bayern der unselige Hexenwahn solche Ausmaße annehmen?«, fragte sich der Graf nicht das erste Mal betrübt.
Falls es Alberta gelingen sollte, nach ihrem Jurastudium beim Herzog unterzukommen, war damit zu rechnen, dass auch sie es mit Hexenprozessen zu tun bekäme. Nicht auszudenken, wenn sie dann die Schuld daran trüge, so ein bedauernswertes Weibsbild in die Flammen geschickt zu haben!
Den Grafen schüttelte es bei diesem Gedanken. Am liebsten hätte er den Schwindel und den Rollentausch wieder rückgängig gemacht. Herrgott im Himmel, was für ein Chaos hatte er da bloß angerichtet! Und alles wegen seiner verfluchten Ehrsucht, den Einfluss, das Ansehen und die Bedeutung seiner Familie zu steigern - und sei es auch auf Kosten des Lebensglücks seiner ältesten Tochter.
In dieser Nacht schlief der Graf erst sehr spät ein. Stundenlang wälzte er sich ruhelos auf seinem Lager in der Herberge hin und her; als er endlich gegen Morgen vom Schlaf übermannt wurde, plagten ihn schwere Alpträume.
KAPITEL 4
4. November 1603, frühmorgens in der Residenzstadt München
AM NÄCHSTEN MORGEN blieb Wolfgang Friedrich noch viel Zeit, ehe er seinen Termin beim Herzog wahrnehmen konnte. Das Wetter war kalt, aber sonnig und windstill; der Graf aus dem oberbayerischen Chiemgau beschloss, durch die Stadt zu schlendern und die schmucken Häuser, die seit kurzem entstanden waren, genauer in Augenschein zu nehmen. Überall in der Stadt war rege Bautätigkeit zu beobachten.
Wie man hörte, hatte der Herzog die von seinem Vater Wilhelm ererbten Schulden vollständig getilgt. Durch sein überlegtes
Wirtschaften und eisernes Sparen hatte er so viel Geld übrig, dass er sich prunkvolle Gebäude erlauben konnte.
Um ihre Errichtung verwirklichen zu können, ließ er ganze Straßenzüge und Stadtviertel einreißen. Was wohl der Magistrat Münchens dazu sagte? Vermutlich hatte Maximilian diesen gar nicht erst lange gefragt …
Vor allem die Residenz befand sich in völligem Umbau. Als Erstes hatte Maximilian die einzelnen Bauten seiner Vorgänger, die um den Grottenhof und die benachbarten Gärten herum verstreut lagen, miteinander verbunden. Dieser Teil sollte quasi das Herzstück der Residenz bilden.
Hier waren die Hofkapelle mit dem nach ihr benannten Kapellenhof und der Brunnenhof samt Residenzturm neben dem Antiquarium entstanden. Der Nordteil des Kapellenhofes grenzte an den alten Herkulessaal.
Von einem der zahlreichen Bediensteten - am Hof Trabanten genannt -, die in blau und weiß gekleidet, mit Hellebarden bewaffnet, in jedem Korridor und vor jeder Tür Wache standen, erfuhr der Graf, der seinen Stadtrundgang beendet und die Residenz aufgesucht hatte, dass das Herzogspaar bei schlechtem Wetter die Messe in der Hofkapelle hörte, während es bei Sonnenschein in die nahegelegene Frauenkirche hinüberschritt.
Der Mann genoss sichtlich das Interesse des vornehmen Besuchers und erbot sich, ihm Näheres zu erläutern. So erfuhr der Graf zu Mangfall-Pechstein auch, dass das Gefolge des Herzogs jeweils vor dem Eingang zur Hofkapelle stehen blieb und nur Seine Durchlaucht und seine Gemahlin, Herzogin Elisabeth, sowie der Graf von Rechberg die Kapelle betraten. Letzterer war, wie Wolfgang Friedrich schon wusste, der Obersthofmeister des Herzogs.
Rechberg war daher ein höchst einflussreicher Mann. Die meisten, die an den Herzog ein Anliegen hatten, wandten sich zuerst an ihn, denn es war der Graf, der die Audienztermine vergab. Es war kein Geheimnis, dass er diejenigen, die er nicht leiden konnte, bis zum Sankt Nimmerleinstag vertröstete …
Sobald sich die Tür der Kapelle geschlossen hatte, ging jeder Rat oder Offizier, der die hohen Herrschaften bis
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