Die Hexenadvokatin
ausschalten.«
»Ja! Freiwillig werden sie uns die Alte und die Junge nicht herausgeben. Auch mit dem ältesten Sohn des Eisenhans ist schon zu rechnen«, gab die Gräfin zu bedenken. »Hm! Ich habe ja keineswegs vor, ein Blutbad im Falkenturm anzurichten.«
Nach langem Hin und Her gelangten sie halbwegs zu einem Konzept, nach dem es gelingen müsste, die inhaftierten »Hexen« aus dem Gefängnis verschwinden zu lassen. Die Zeit drängte; bereits in drei Tagen war der Beginn des Prozesses anberaumt.
17. Mai 1612, der Plan ist fertig
Nach der Abendmahlzeit, die Alberta und Pater Winfried ungewöhnlich schweigsam einnahmen, machten sich sowohl die Gräfin als auch drei Knechte, denen sie vertraute, fertig für ihren »großen Auftritt«, der noch heute Abend erfolgen sollte.
Auch der alte Mönch sollte dabei sein, obwohl er keinesfalls als einer der Hauptakteure vorgesehen war. Aber er könnte immerhin kleinere Handgriffe verrichten; darüber hinaus vermochte er »Schmiere zu stehen« - ein Ausdruck aus der Gaunersprache, den Alberta durch ihre Tätigkeit bei Gericht gelernt hatte.
»Außerdem macht sich die Gegenwart eines Geistlichen immer gut. Es wirkt vertrauenerweckend; keiner wird uns etwas Böses unterstellen, wenn die Leute einen Kuttenträger sehen«, behauptete der Benediktiner fest, als die Gräfin erwog, ihren alten Freund daheim zu lassen. Sie ließ sich überzeugen.
Eigentlich war es am Ende sogar besser. Es ersparte ihr den Umweg, den sie auf sich nehmen müsste, um den Pater nach der erfolgten Gefangenenbefreiung »aufzusammeln«, um ihn bei ihrer Flucht nach Süden mitzunehmen. Auf welche Weise man München zu verlassen gedachte, darüber waren sie sich ebenfalls einig.
Der Plan schien hieb- und stichfest zu sein. Das Wichtigste jedoch war, die »Hexen« überhaupt aus ihrem Kerker loseisen zu können. Und das war in diesem Falle sogar wortwörtlich zu verstehen …
»Sollte wirklich alles fehlschlagen«, sagte Alberta kaltblütig, »so werde ich wenigstens versuchen, der alten Frau Gift zuzustecken. Wenn sie es später für nötig erachten sollten, davon Gebrauch zu machen, um sich vor dem Ärgsten, dem Scheiterhaufen, zu retten, können sie es tun.«
Der Mönch war entsetzt.
»Meine Tochter, das dürft Ihr nicht machen! Das ist Anstiftung zur Selbsttötung und dafür gebe ich mich nicht her! Das ist eine schwere Sünde und …«
Aber in diesem Punkt blieb die Gräfin stur. » Ihr habt damit gar nichts zu tun, Pater! Außerdem wünsche ich keine Diskussion mehr darüber. Falls wir die zwei Frauen zurücklassen müssten, werden sie von einem anderen Hexenrichter zum Flammentod verurteilt. Das wisst ihr ebenso gut wie ich.
Sollten die Ärmsten dann beschließen, ihr ohnehin verwirktes Leben um etliche Stunden zu verkürzen - und zwar auf eine menschenwürdigere Art als es eine Verbrennung bei lebendigem Leibe darstellt -, dann ist das ihre ureigene Angelegenheit, nicht wahr? Es zwingt sie ja niemand, das Gift zu nehmen!«
Pater Winfried versuchte zwar noch einige Male, dagegen zu argumentieren, aber die Gräfin untersagte es ihm zum Schluss ziemlich barsch. Sie ließ sich nicht davon abbringen, dass dies das Mindeste war, das sie den unglücklichen Opfern einer verblendeten Justiz schuldete.
Die fünf Verschwörer sprachen gemeinsam noch ein Vater Unser und ein Ave Maria . Anschließend wollten sie gegen acht Uhr das Haus verlassen. Zu dieser Stunde ging die Sonne allmählich unter und es regte sich normalerweise nicht mehr viel auf den Gassen. Und zu Zeiten, in denen man immer noch Angst vor einer Seuche hatte, erst recht nicht …
Eines der kräftigsten und zugleich friedfertigsten Zugpferde, eine gedrungene, hellbraune Stute, ließ die Gräfin vor den unauffälligsten Karren, den sie in der Scheune hatten, spannen - zusammen mit einem robusten, aber gutmütigen Maultier. Einer der Knechte würde das schlichte Gefährt lenken. Neben ihm auf dem Bock sollte der Pater sitzen, während
Alberta auf ihrem Lieblingspferd, einem stolzen Braunen, langsam daneben her traben würde.
Von den beiden anderen Männern, jungen, kräftigen Kerlen, würde hingegen nichts zu sehen sein. Sie lagen versteckt unter einem wirren Haufen von alten Decken und Betttüchern. Sie würden zu gegebener Zeit in Erscheinung treten.
Nachdem der Stadtbüttel am Nachmittag durch München geritten war und der Bevölkerung die erschreckende Kunde gebracht hatte, es seien erneut Fälle des Schwarzen Todes
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