Die Hexenmeister
dich töten, ich hoffe, daß ich früh genug erschienen bin, um alles zu verhindern.«
»Was denn?« keuchte sie und wunderte sich, daß sie überhaupt noch sprechen konnte.
»Deine Wiedergeburt. Deine Reinkarnation. Du sollst nicht als jemand anderer zurückkehren, du nicht. Du sollst kein Engel werden, einer hat gereicht. Du sollst nicht erleben, wie es ist, wenn man einmal den festen und zum anderen den feinstofflichen Zustand hat. Du sollst die Hölle nicht überwinden können, deshalb hat mich der Teufel geschickt, denn ich manifestiere den Tod. Ich bin der Valentin, der große, knöcherne Bruder, von dem viel gesungen und auch erzählt wurde. In Gedichten und Liedern hat man mich entstehen lassen, und der Teufel hat sich gefreut, darauf zurückgreifen zu können, Hexenmeister Valentin, der Tod gegen die Engel, und der Tod wird siegen.«
Solara hatte sehr genau zugehört und alles verstanden. Dennoch war ihr so andes zumute geworden. Zwar lag sie auf dem kalten ekligen Stein, aber da war noch eine andere Persönlichkeit, die aus einer Tiefe hervorkam, von der sie nichts verstand. Irgend etwas Warmes, Beschützendes näherte sich ihr.
Etwas, das in sie eindrang und ihre Seele einnahm. Es tat so gut, es war so wunderbar, so leicht, aber unerklärbar.
Sollte das schon ein Gruß aus der anderen Welt, aus dem Jenseits sein?
Kamen die Geister zu ihr? Waren sie jetzt frei? Wurde das Ende ihrer Träume nun Realität?
Sie dachte daran, daß sie eigentlich immer die Siegerin gewesen war, doch nun sah es danach aus, als würde sie verlieren und trotzdem einen großen Sieg erringen.
Eigentlich hätte sie vor Todesangst schreien müssen. Die Messer und die kalte Fratze waren grauenvoll genug, aber sie schrie nicht. Ihre Angst war zudem verflogen.
Dafür zuckten zuerst ihre Lippen, dann bewegten sich die Wangen, und ein warmes Lächeln rann über ihr Gesicht.
Das wiederum irritierte den Hexenmeister.
»Wo bleibt deine Angst?« keuchte er. »Wo, zum Henker, bleibt die Furcht vor der Vernichtung?«
Er erwartete eine Antwort, und er bekam sie auch. »Der Tod ist nicht das Ende. Er ist der Beginn eines neuen Lebens. Wir Menschen sind bereits erlöst worden, wir können dem leiblichen Ende mit ruhigem Gewissen entgegenschauen.«
»Was sagst du da?«
»Ich wiederhole es nicht, aber du weißt es. Ich spüre die Kraft, die mich schon jetzt erneuert.« Zur Unterstreichung ihrer Worte hob sie Kopf und Oberkörper an, um sich aufzusetzen.
Zum erstenmal funkelte es in den Augen des Hexenmeisters, und sie unterließ diese Bewegung.
»Nein!« keuchte er, »so haben wir nicht gewettet. So weit lasse ich es erst gar nicht kommen. Ich habe hier das Sagen. Ich bin derjenige, der bestimmt.« Die Nonne sank wieder zurück. Sie fühlte sich so seltsam, so anders. Sehr intensiv dachte sie über den Zustand nach, aber sie kam zu keinem Ergebnis, nur die Angst war verschwunden.
Solara stand auf der Schwelle zu einem anderem Leben, und sie dachte in diesen Augenblicken an Maria. Auch ihr mußte es ähnlich ergangen sein, denn sie war ja etwas Besonderes.
»Ich fürchte dich nicht!« sagte sie leise.
Der Hexenmeister war verblüfft und schüttelte den Kopf. Darüber kam er zunächst nicht hinweg. Jeder fürchtete sich vor ihm. Warum nicht diese Person?
War er doch zu spät gekommen?
Er senkte den Kopf.
Haargenau traf der Blick seiner düsteren Spiegelaugen das Gesicht der Nonne.
Hatte es sich verändert? Lag möglicherweise ein heller Schleier über den Zügen? Fühlte sie sich bereits wie von den Kräften des Lichts getragen?
Sein Gesicht nahm einen anderen Ausdruck an. Die Folge einer irrsinnigen Wut und übergroßen Konzentration. Gleichzeitig auch das Wissen darüber, daß er möglicherweise verloren hatte.
»Nein, nicht auch du!«
Es waren seine letzten Worte vor der Tat.
Niemand war da, der ihn daran hinderte. Er stieß beide Arme nach unten und rammte die Klingen in die Körper.
Tief drangen sie ein.
Er blieb in der geduckten Haltung, hielt die Griffe fest, und ein wildes satanisches Lachen drang aus seinem Maul…
***
Gewonnen, er hatte gewonnen. Diesmal war er der Bessere gewesen.
Es gab keine zweite Maria. Es durfte sie nie wieder geben, es würde sie auch nicht mehr geben.
Diese Gedanken durchzuckten seinen Kopf, als er die Griffe der Klingen noch immer festhielt. In seinen Augen strahlte es kalt und dunkel auf, als hätte ihm der Teufel persönlich eine Gratulation geschickt.
Gewonnen!
Er richtete sich
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