Die Hexenmeister
Jungfrau Maria. Du bist mir doch nicht erschienen wie damals dem Mädchen in Fatma. Du kannst es nicht sein, du…«
»Nein, das bin ich nicht.«
Irgendwo war er froh darüber, die Antwort zu hören. »Aber wer bist du dann?«
»Maria…«
Testi wußte, daß es keinen Sinn mehr hatte, noch weitere Fragen zu stellen, deshalb nickte er nur.
Die Frau vor ihm senkte den Kopf. Es machte ihr überhaupt nichts aus, nackt zu sein. Sie hob die Arme an und streckte dabei die Hände aus, damit diese eine größtmögliche Fläche bildeten. Dann geschah etwas, das der Fischer ebenfalls nicht fassen konnte. Mit beiden Handflächen strich die Nackte über ihren Körper. Es sah so aus, als wollte sie dabei irgendeine Creme verteilen.
Sie rieb über jede Stelle hinweg, schien das Streicheln zu genießen und hörte erst dort auf, wo auch der flache Bauch endete. Das alles bekam er mit, das war nichts Besonderes im Gegensatz zu dem, was noch alles folgte.
Plötzlich fing die Haut an zu leuchten. Ein silbriggrüner Schimmer legte sich über die Haut. Er konzentrierte sich dort besonders stark, wo sich auch ihre Hände befanden, und die wanderten weiter, auch den Wunden entgegen.
Einige Male strichen die Handflächen darüber hinweg. Sie drehten sich dabei, als wollten sie die Ränder der Wunden besonders massieren. Das seltsame Licht blieb dabei bestehen, es intensivierte sich sogar, wobei Flavio Testi immer stärker in den Bann dieser Bewegungen hineingeriet.
Er hätte tausend Fragen gehabt, doch es gelang ihm nicht einmal, eine einzige zu stellen.
Die Hände blieben noch in Bewegung. Es sah einfach wunderbar aus, so leicht, so gleitend, bis zu dem Augenblick, als sie zur Ruhe kamen und dabei die drei Wunden verdeckten.
Testi konnte sich vorstellen, daß dies mit Absicht geschah. Zu fragen wagte er allerdings nicht.
Er brauchte auch nicht lange zu warten, denn Maria löste ihre Hände wieder. Sie glitten dabei an ihrem Körper herab und an einer Haut, die wunderbar war.
Sie zeigte keine Verletzungen mehr. Nicht eine Wunde war zu sehen.
Nichts unterbrach diese wundersame glatte Schönheit, die wie perfekt modelliert wirkte.
Flavio staunte und schluckte…
Aber Maria lächelte. »Ich bin nicht tot«, sagte sie. »Aber ich möchte dir danken. Ich möchte dir sagen, daß ich auf dich und deine Familie aufpassen werde, auch dann, wenn ich in Gefahr bin, denn du sollst wissen, daß ich gejagt werde. Der Hexenmeister Valentin ist mir auf der Spur. Er will verhindern, daß ich Gutes tue und mich in seine Angelegenheiten einmische. Er hat versucht, mich umzubringen, er konnte es nicht schaffen, noch bin ich stärker. Doch mein Versprechen an dich gilt, mein Freund. Es gilt, solange dir der Herrgott die Kraft gibt, am Leben zu bleiben.« Sie nickte ihm zu, als wollte sie durch diese Geste ihre Worte noch einmal untermauern.
Dann drehte sie sich um.
»Aber… aber…« Testi sprach gegen den Rücken der Person, ohne noch weitere Worte hervorbringen zu können. Er war einfach zu stark geschockt worden.
Was er erlebt hatte, konnte man als unglaublich bezeichnen, das war einfach nicht möglich.
Maria ging davon.
Sie schritt auf die Reling zu, als wollte sie darüber hinwegsteigen und ins Wasser gehen. Das geschah tatsächlich.
Testi wollte sie noch aufhalten, doch wie festgenagelt stand er auf dem Fleck.
Er konnte über die Reling auf das Meer hinausschauen und sah dort einen silbriggrün schimmernden Fleck, aber keine Frauengestalt mehr.
Der Fischer überwand seine Starre, lief zur Reling, schaute darüber hinweg und stöhnte auf.
Auch das Licht war verschwunden.
Nur das dunkle Wasser schaukelte vor ihm. Es hatte diesen Spuk oder diese Erscheinung verschluckt.
Einfach so, als wäre es niemals dagewesen.
Testi bekreuzigte sich. Er war ein gläubiger Mensch, und jetzt wußte er, daß er mit seiner Religion immer richtig gelegen hatte. Da hatte sich ihm jemand offenbart. Ob es nun die Heilige Jungfrau gewesen war oder eine normale Heilige, es spielte für ihn keine Rolle mehr. Seine Freude am Leben hatte von diesem Moment an stark zugenommen.
Er hatte viele Geschichten über Wunder und wundersame Dinge gehört und sie eigentlich nicht so recht glauben können. Von nun an würde sich das ändern.
Sehr lange noch blieb Flavio Testi an der Reling stehen und schaute über das Wasser. Dabei merkte er nicht, daß Tränen über seine Wangen liefen.
Aber es waren Tränen der Dankbarkeit.
Vor kurzem noch hatte er die Hölle
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