Die Himmelsmalerin
Wappenröcken trugen sie den Adler, das Zeichen des Königs.
Zum Glück keine Württemberger!, fuhr es Lena durch den Kopf. Wenn sie einem Söldnertrupp der feindlichen Grafschaft in die Hände fiel, brauchte sie keinen Anstetter mehr zu fürchten. Sie duckte sich tiefer ins Brombeergestrüpp.
Dann waren sie endlich vorüber, wie ein böser Traum. Bis auf den letzten Reiter hatte der steile Hang sie außer Sichtweite geführt. Erleichtert erhob sie sich, streckte die schmerzenden Beine, Arme und den Rücken und strich sich den Kittel glatt. In diesem Moment drehte sich der Fremde um, der einen mächtigen Apfelschimmel führte. Er hatte schwarze Haare, glatt und glänzend, und ebensolche Augen. Mit undurchdringlicher Miene sah er sie an, lächelte, hob die Hand und zog sie einmal quer über seine Kehle. Vor Schreck setzte Lenas Herz einen Schlag aus. Starr vor Angst blieb sie einen Augenblick stehen, dann stolperte sie blindlings in den Wald hinein, der sich seitlich des schmalen Weges steil die Hänge hinaufzog. Sie kletterte, zog sich an Baumästen und Wurzeln hoch, zerkratzte sich Arme und Beine und hielt erst inne, als sie die Kuppe des Hügels erreicht hatte. Mühsam rang sie nach Atem. Ihr Herz klopfte wild in ihrer Brust, und die Luft in ihrer Kehle schmeckte scharf wie Metall. Hatte der unheimliche Fremde sie verfolgt? Als sich ihr Atem wieder beruhigt hatte, spähte sie den Hang hinab. Nichts. Irgendwo erhob sich schreiend ein Auerhahn in die Luft, und ein Sprung Rehe rannte quer zur Steigung durch den Wald, über den sich die gewittrige Dämmerung gelegt hatte. Das war noch einmal gutgegangen!
Den Schrecken noch immer in den Knochen, machte sie sich auf den Rückweg und schaffte es gerade noch durch das Tor, bevor dieses zur Nacht schloss. Als sie fast zu Hause war, brach das Unwetter los. Blitze hellten die Schwärze auf, die sich über die Stadt gelegt hatte, und der Donner krachte betäubend in Lenas Ohren. Mit einem Schlag platschte der Regen in die engen Gassen, verwandelte den lehmigen Straßenbelag in eine Schlammwüste und ließ Unrat und Essensreste davontreiben. Klatschnass und zitternd vor Kälte trat Lena in den Hof in der Webergasse, wo Martha schon in der Tür stand.
»Oh, Lena!« Sie holte eilends ein Handtuch, mit dem sie ihrer Ziehtochter die Haare abrubbelte. »Was machst du bloß für Sachen!«
»Ich möchte baden«, bibberte Lena.
»Nix da«, sagte Martha resolut. »Ich mache dir eine heiße Milch mit Honig, und dann geht’s ab ins Bett. Heißes Wasser hab ich sowieso keins mehr.«
Gehorsam trat Lena in den Flur und wollte gerade die Stiege zu ihrer Stube hochsteigen, als ihr von oben drei Männer entgegenkamen. Es waren ihr Vater, Marx Anstetter und ein Fremder.
Mist! Warum konnte sie sich nicht ins nächste Mauseloch verkriechen? Sie machte Platz, drückte sich in eine Nische, geriet am Fuß der Treppe aber unwillkürlich ins Blickfeld der drei.
»Lena, wo warst du nur so lange? Unser Gast ist angekommen.« Ihr Vater räusperte sich. »Meister Lionel Jourdain aus Burgund, der Glasmaler, der das Chorfenster der Franziskaner verglasen wird. Meister Jourdain, meine Tochter Magdalena.«
Der Glasmaler aus Burgund war einen guten Kopf größer als Marx Anstetter, hatte einen hellbraunen, kurz geschnittenen Bart und Haare der gleichen Farbe, die ihm lockig bis auf die Schultern fielen. Belustigt musterte er sie von oben bis unten, und Lena wurde bewusst, wie sie aussehen musste: Der eine Zopf noch immer aufgelöst, struppig, zerkratzt und nass wie eine halb ersäufte Katze.
»Es ist mir ein Vergnügen, Mademoiselle Madeleine«, sagte der Burgunder sanft und machte eine Verbeugung, die einem Höfling am Hofe des Königs alle Ehre gemacht hätte. Für sie, die Lumpenprinzessin? Lachen stieg in Lena auf wie Wasserblasen in einem Glas. Sie prustete los und kicherte, bis sie sich den Bauch halten musste.
Der fremde Glasmaler zog erstaunt die Augenbrauen hoch und lächelte dann verständnislos, aber freundlich zurück. Marx Anstetter brauchte einen Moment, um sich zu sammeln, dann war er blitzschnell bei Lena und schlug ihr mit voller Kraft ins Gesicht. Lenas Hand fuhr an ihre brennende Wange. Ungläubig schaute sie von einem zum anderen.
»Meister Marx!«, rief ihr Vater. »Lasst die Hände von meiner Tochter.«
»Nie wieder stellt mich meine Braut vor einem Fremden bloß«, stieß Anstetter zornig hervor. »Ich tue nur das, was Ihr versäumt habt. Zum Glück ist es lediglich eine
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