Die Himmelsmalerin
dran.
»Habt ihr gehört?«, fragte Griet in die Runde. Die anderen beugten sich interessiert vor. »Der Predigermönch, Bruder Ulrich von Teck … Er hat sich mit dem Prior des Dominikanerklosters angelegt.«
»Nein!« Marie stemmte ihre Hände in die Hüften. »Weswegen?«
»Er sagt, wenn der König nach Esslingen kommt und bei den Dominikanern übernachtet, darf nicht so viel Wein auf dem Tisch im Refektorium stehen!« Die Mädchen steckten die Köpfe zusammen. Griet schaute sich um und flüsterte dann in die Runde. »Der Prior hat gewettert, dass das seine Sache sei, aber der Ulrich hat mit seinen dunklen Augen so komisch geguckt, als hätte er das Höllenfeuer unter der Kutte und könne es bei Bedarf auspacken. Andere Männer packen etwas anderes aus, wenn ihr mich fragt, aber der gewiss nicht.«
Lena legte die Hand vor den Mund und prustete los.
»Aber der König geht sicher zu den Franziskanern. Man sagt, mit denen steht er gut«, sagte Marie altklug.
Griet wischte den Einwand beiseite und winkte sie noch näher heran, die Wangen rot vom Vergnügen, den anderen etwas Ungeheuerliches zu erzählen. »Und dann hat der Bruder Ulrich gemeint, dass die Mönche ins Haus an der Froschweide gehen, und Prior Balduin hat erwidert, dass er aufpassen soll, was er da sagt.«
»Nein!« Die Mädchen kriegten große Augen. Das Haus erwähnte man nicht, wenn man seinen guten Ruf behalten wollte.
»Woher weißt du das alles nur?«, fragte Lena.
Bruder Ulrich war ein Eiferer, der den Esslingern seit einigen Monaten mit glühenden Worten die ewige Verdammnis predigte, die ihnen bei ihrem schlechten Lebenswandel blühte. Wenn Lena die Menschenaufläufe rund um den Dominikaner sah, machte sie einen großen Bogen.
»Ihre Sohlen waren durchgelaufen. Mein Vater hat sie besohlt, vom Novizen bis zum Prior.«
»Oder versohlt«, kicherte Anna und wurde zum Dank mit ein paar Kellen Wasser bespritzt. »Macht mal etwas schneller da vorne!«, rief eine Magd, die hinten in der Reihe wartete.
Lena nahm ihre Eimer und trug sie nach Hause.
Die Stadt erwachte langsam. Fensterläden wurden aufgestoßen, Decken gelüftet und so mancher Nachttopf auf die Gasse geleert. Die Glocken der Stadtkirche läuteten zum Angelus. Lena trat von der Seitengasse aus in den gepflasterten Hof, der jetzt in der Morgensonne glänzte. Hier lag der Hintereingang des Haupthauses, gegenüber die Türen zu den Werkstätten und zum Stall. Nur der Brennofen befand sich im Handwerkerviertel nahe am Bleichwasen, wo die Esslingerinnen ihre Leintücher in die Sonne legten, damit sie frisch und weiß wurden. Großvater Lambert hatte lange um die Erlaubnis gekämpft, trotz der Feuergefahr seine Scheiben selbst brennen zu dürfen, was in der Webergasse nicht möglich war. Das farbige Glas bezog er von einer Glasbläserei im Schurwald. In den mehrstöckigen, giebelständigen Gebäuden neben dem Haus des Glasmalers residierte die Führungsschicht der Stadt, Ratsherren, Patrizier und reiche Weinhändler, die ihre Nase sehr viel höher trugen als Meister Luginsland und seine Tochter. Nur Renata und ihr Mann waren ihre Freunde gewesen. Doch jetzt wohnte schon seit einigen Jahren Anton Oberlederer, der Neffe von Renatas verstorbenem Mann, in ihrem Stadthaus und bewirtschaftete auch die Apotheke. Und Renata hatte sich vor die Stadt ins Grüne zurückgezogen, unweit der Grenze zu Württemberg.
Lena trat durch das Tor in den Innenhof und hörte durchs offene Fenster, wie sich die Lehrbuben um die besten Plätze am Tisch rangelten und ihr Vater sie mit lauter Stimme zur Ordnung rief.
Ihr Magen knurrte, und sie stand schon an der Tür, als sie im Stall leise ein Pferd schnauben hörte. Neugierig wandte sie sich um, stellte die Eimer in den Eingang, überquerte den Hof und trat in die Box, die leer gestanden hatte, seit sie ihre Mähre Trud zum Abdecker geben mussten. Sie hielt den Atem an. Es war dunkel hier, doch das Pferd erhellte das Zwielicht. Er war so wunderschön, weiß wie ein Nebelstreif, mit großen fragenden Augen. Neben ihm stand eine sanfte, braune Stute und knabberte an einem frischen Heubüschel. Sie trat einen Schritt auf den Hengst zu, die Hand beruhigend erhoben. Trotzdem legte er die Ohren an und wieherte misstrauisch.
»Schhh«, machte sie.
»Vorsicht«, hörte sie hinter sich. »Étoile verkehrt nicht mit jedem.«
Lena fuhr herum. Da stand der Fremde locker in der Tür, lehnte sich an den Rahmen und grinste. Er war so groß, dass er den Kopf unter dem
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