Die Himmelsmalerin
Frage der Zeit, bis ich die Munt über das verwöhnte Gör habe.«
Der Fremde sagte nichts.
Lena schlug beide Hände vors Gesicht und rannte an den Männern vorbei die Treppe hoch. Sie wusste nicht, was mehr weh tat – der Schlag ins Gesicht oder ihr gedemütigtes Herz.
4
Sie erwachte bei Tagesanbruch, sprang aus dem Bett, angelte nach ihren Holzschuhen, von denen einer unter dem Schrank gelandet war, und zog sich ein sauberes Leinenkleid über den Kopf. Im Waschwasser in der Schüssel konnte sie ihr Gesicht sehen: die dunkelblauen Augen und die Sprenkel auf der Nase, die sich gestern in der Sonne vermehrt hatten. Aber das rote Mal, das wie Feuer auf ihrer Wange gebrannt hatte, war verschwunden, und die Kratzer der Brombeerranken fielen zwischen den vielen Sommersprossen nicht weiter auf. Sie seufzte. Auch mit der Schramme in ihrem Herzen würde sie leben können, wenn sie nur nicht weiter an ihren Bräutigam dachte und der sie bis nach Sonnenaufgang in Ruhe ließ. Durch ihr Dachfenster hatte sie einen Blick auf die Stadt, deren Dächer noch feucht vom gestrigen Regen waren. Graues Licht drang in den Raum, aber der dunstig blaue Himmel versprach einen weiteren warmen Tag.
Sie liebte diese frühe Stunde, die ihr ganz allein gehörte. Munter sprang sie die Treppe hinunter in Richtung Küche, wo Martha über dem Feuer den Brei fürs Frühstück rührte. Daneben ruhte der Brotteig in einer Schüssel, den sie später zum Abbacken zum Bäcker bringen würde. Im Korb vor dem Feuer regten sich die winzigen Katzenjungen, deren Mutter auf die Jagd gegangen war. Lena hatte sich erfolgreich dagegen gewehrt, dass Johann sie im Katzenneckar ertränkte, und Martha hatte mal wieder nachgegeben, obwohl sie es war, die die Mäusejäger bei den Nachbarn unterbringen musste. Jetzt trat Lena von hinten an die Köchin heran und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Guten Morgen, Martha«, sagte sie.
»Ich hab Honig in den Brei getan«, brummte diese. »Extra für dich!«
»Es war nicht so schlimm. Ich hab’s schon fast wieder vergessen.«
»Ein Vater darf die Tochter züchtigen. Der muss das vielleicht sogar hin und wieder.« Die Köchin rührte zornig im Kessel, in dem es hitzig zu brodeln begonnen hatte. »Aber ein Bräutigam sollte seine Hände bei sich behalten, vor allem, wenn der Vater danebensteht!«
Lena nickte.
»Und dann noch vor dem Fremden. Es war demütigend für uns alle.«
Lena verstand Marthas Bedenken. Wenn Meister Marx hier das Szepter führte, würde nicht nur Lena zu leiden haben, sondern auch die Dienstboten und der ganze Hausstand. Aber sich mit der Köchin anzulegen war ein Risiko, das Meister Marx besser nicht eingehen sollte. Schließlich konnte sie ihm im Ernstfall den Brei versalzen. Lena wandte sich um.
»Ich geh Wasser holen.«
Sie schnappte sich die Eimer und trat auf den Hof hinaus, der im grauen Licht des frühen Morgens verlassen dalag. Über die Mauer zum Nachbarhaus balancierte mit erhobenem Schwanz die rote Katzenmutter, sprang elegant zu Boden und drängte sich an Lenas Beine.
Sanft strich sie dem Tier über den Rücken.
Meister Marx schnarchte sicher noch in seinem Gästezimmer. Johann, der Altgeselle, und die Lehrbuben Titus und Hans teilten sich eine Stube im ersten Stock.
Das Tor zur Gasse knarrte in der Stille. Es war so früh, dass nur die Magd aus dem nahe gelegenen Pfleghof des Klosters Fürstenfeld auf den Beinen war. Lachend wich Lena dem Kübel Wischwasser aus, den diese gerade auf die Straße leerte, als Lena vorbeiging.
»’tschuldigung!«, rief die Magd gut gelaunt und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Am Krautmarktbrunnen herrschte trotz der frühen Stunde reger Betrieb. Griet, die Tochter des Schuhmachers, stand am Trog und schwatzte mit ihren Freundinnen.
»Na, Lena!«, rief sie. »Was macht dein schmucker Tübinger?« Griet war bekannt für ihr loses Mundwerk.
»Schlafen, was denn sonst!« Lena trat an den Brunnen heran und füllte die Eimer. Die Mädchen – Griet mit ihren braunen Augen, die dralle Marie und Anna, die ihre Pickel nicht los wurde – stützten die Arme in die Hüften und bogen sich vor Lachen. Lena zuckte die Schultern und genoss den morgendlichen Spott und Klatsch. Wahrheit hin oder her. Wenn Meister Marx erfuhr, dass sie ihn als Faulpelz dargestellt hatte, würde er sie sicher wieder schlagen. Aber Griet war mit ihrem Verlobten, dem Gerbermeister Johann Höfler, der immer nach Beize stank, auch nicht gerade glücklich
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