Die Himmelsmalerin
hierbleibe.«
»Aber du wirst doch der neue Meister in unserer Werkstatt. So war es doch abgemacht.« Sie hörte, wie ihre Stimme zitterte, und biss sich auf die Zunge.
»Das war es nicht«, sagte er. »Konrad übernimmt die Werkstatt und hilft deinem Vater, so dass der sich bald zur Ruhe setzen kann. Heinrich bürgt für ihn bei der Zunft, und ich habe eine Teilhaberschaft und ein Anrecht auf die Hand seiner Tochter.« Er schüttelte den Kopf, voll schlechtem Gewissen. »Sie wollten es dir sagen, so dass wir in Ruhe Abschied nehmen können.«
Reglos saß Lena auf der Bank, und die Kälte kroch ihr Stück für Stück die Beine hinauf. Die Träume, in denen sie sich eine gemeinsame Zukunft mit Lionel vorgestellt hatte, zerbrachen in tausend Stücke. Wie damals, als ihr das Bild mit dem Pfingstwunder aus der Hand gefallen war.
»Hör zu!«, begann er von neuem. Eigentlich wollte sie nichts mehr hören, aber er ließ sie nicht in Ruhe. »Enge Städte ersticken mich. Und die Kleinaufträge, die mich hier erwarten, reichen mir nicht. Mag sein, dass es in ein paar Jahren anders ist, wenn sie die Marienkapelle verglasen. Aber in Königsfelden, in den Stammlanden der Habsburger, da liegt ein Kloster, wo eine ganze Kirche verglast werden soll. Ich habe den Auftrag schon lange vor dem Chorfenster bekommen. Wenn ich zurückkomme, heiraten wir.« Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft. »Wie lange kann das dauern!«, rief sie zornig. »Ein paar Jahre? Und so wird es immer sein. Ich werde in Esslingen sitzen und auf dich warten, während du irgendwo auf der Welt Klöster und Kirchen verglast und alle paar Jahre mal heimkommst.«
Lionel schwieg schuldbewusst. Genauso hatten sie es sich gedacht. Ihr Vater, Lionel und dieser Freiburger steckten unter einer Decke und hatten ihre Zukunft bis ins Detail geplant. Nicht mit mir, dachte sie.
»Aber wenn du nicht so lange warten willst«, sagte er kleinlaut. »Dann gebe ich dich frei und du kannst Konrad heiraten. Er hat sich dazu bereit…«
»Ihr wollt mich verschachern«, schrie sie, sprang auf und lief den Weinberg hinab, ohne sich nach ihm umzusehen. Klack, klack, klack, jeder Schritt ihrer Winterstiefel ein kleiner Donner auf dem halb gefrorenen Boden. Nein! Wieder wollten die Männer sie zu einem Spielball geschäftlicher Interessen machten, der hin und her geschubst wurde, wie es ihnen gefiel.
»Aber ich liebe dich doch«, seine Stimme hallte in den Hängen wider. »Bitte lass es nicht so enden. Du hast es geschafft, dass ich wieder lebe. Und wenn du willst, kommst du einfach mit.«
Was redete er da? Die Reichsstadt war ihre Heimat, hier lebten die Menschen, die sich auf sie verließen, und hier lag die Werkstatt, in der sie groß geworden war und zeichnen gelernt hatte! Blind vor Tränen stolperte sie den Weg herunter und schaute nicht nach rechts und links. Weit hinter sich hörte sie seine Schritte. Mit seinen langen Beinen hielt er mühelos mit ihr Schritt, aber selbst er hatte wohl begriffen, dass sie allein sein wollte, und überholte sie nicht. Am Stadttor hatte er sie schließlich doch eingeholt. Er bestach den Wächter, der sie durch eine kleine Pforte in die Stadt lotste. Lena durchquerte sie, ohne Lionel noch eines Blickes zu würdigen. Auf getrennten Wegen gingen sie nach Hause.
49
Der nächste Morgen war kalt und grau. Lustlos stocherte Lena in ihrem Getreidebrei herum und hörte, wie Lionel draußen die Pferde sattelte und seine Werkzeuge verstaute. Stimmen schoben sich zwischen die Geräusche, Konrad, ihr Vater, die Lehrbuben, alle standen sie im Hof und hatten Lionel etwas zu sagen, und Bonne wieherte leise zum Abschied. Beim Frühstück hatte sie gehört, dass er seine Vorräte in Cannstatt ergänzen und erst dann in Richtung Osten über Ulm zum Bodensee reisen würde. Ein wandernder Glasmaler, dem die Welt offenstand. Wie hatte sie denken können, dass er in Esslingen bleiben würde, wenn ihn im Reich Aufträge von ganz anderer Größenordnung erwarteten. Aufträge vom König selbst und vom Franziskanerorden, mit dem ihn mehr verband, als sie geahnt hatte.
Sie blinzelte und schaute sich in der Küche um. Zum ersten Mal erschien ihr der weiß gekalkte Raum mit seinem pergamentverspannten Fenster eng und klein. Das Feuer im Ofen wärmte ihre Füße, die in dicken Strümpfen steckten. In den Regalen an der Wand stand Marthas Tongeschirr. Darunter hingen ihre Töpfe, die sie penibel mit Sand gescheuert hatte, bis das Kupfer glänzte wie Gold. Hier kannte Lena
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