Die Himmelsmalerin
hatte. Der Bischof hat mich gleich mitgenommen und bei den Franziskanern von Charlieu abgeliefert. Auch hier konnte ich mich nicht anpassen und habe mehr Zeit im Karzer als in den Lehrsälen verbracht. Vielleicht dachte er, ich trete ein, aber das hätte er besser wissen müssen.«
»Aber trotzdem hast du dort Lesen gelernt und ein bisschen Latein«, sagte Lena leise.
»Ja, und irgendwie haben sie mein Herz entfacht für den Glauben.« Zweifelnd schaute sie ihn von unten herauf an. »Wenn er wahr ist und nicht von Geld- und Machtinteressen bestimmt wird.«
»Wie beim Papst in Avignon?«
»Und zahlreichen anderen Vertretern der Kirche. Aber bei den Franziskanern bin ich ehrlichen Suchenden begegnet, so wie Bruder Thomas. Und sie haben es geschafft, in mir die Leidenschaft fürs Zeichnen zu wecken. Das geschah in ihrem Scriptorium. Dort wollten sie mich zum Buchmaler ausbilden, aber ich bin abgehauen, als sie mir etwas befehlen wollten.« Er lächelte schief. »Mein Vater hat mich schließlich wieder eingefangen.«
Er zog sie wieder an sich. »Auf der Straße lebt es sich dreckig, wenn man zwölf ist. Und dann hat er mich als Knappe zu einem Ritter gegeben, was ihn eine Stange Geld gekostet haben muss. Auf dem Sandplatz war ich ein Ass, wenn ich Lust hatte zu erscheinen.«
Lena kicherte leise.
»Und dort habe ich Meister Thierry kennengelernt, der gerade die Burgkappelle neu verglaste. Als ich die neuen Fenster in der Sonne leuchten sah, blieb mir – wie sagt man – der Mund offen stehen.«
»Du kannst auch sagen, die Spucke weg.«
» Bien sûr! Nun, er spürte mein Interesse und erklärte mir, was ich wissen wollte. Und als er sah, dass ich zeichnen konnte und auch sonst nicht ungeschickt war, versprach er, mich auszubilden. Der Ritter hat mich so verprügelt, dass ich heute noch die Striemen spüre. Aber es nutzte nichts. Ich bin wieder abgehauen und Thierry bis auf die Isle de France gefolgt. Da haben sie eingesehen, dass es nichts nutzte, meinen Willen zu brechen.«
Lena stand auf, stampfte mit ihren Stiefeln kräftig auf, um die Kälte zu vertreiben, stellte sich vor ihn und nahm seine Hände. »Also kriegst du immer, was du willst.«
»Ja!«, sagte er, und sie merkte, dass er es ernst meinte. »Aber auch ich konnte Joèlle nicht halten. Meine erste Frau.« Er legte ihre Hände rechts und links um sein kaltes Gesicht.
»Wie war sie?«, flüsterte sie.
»Wunderschön. Dunkelhaarig. Fröhlich. Wenn du eine Löwin bist, war sie eine Taube. Sie konnte wirklich niemandem etwas zuleide tun.« Seine Stimme wurde sehr leise. »Ich habe sie in Carcassone kennengelernt, als ich dort mit Meister Thierry einen Reparaturauftrag ausführte. Da war ich gerade siebzehn. Doch zwei Jahre später änderte sich alles, denn Frère Mort kam in die Stadt.«
»Daher kennst du den Dominikaner!« Lena hielt den Atem an.
»Ja, und wie hier zog er das Ruder sofort an sich. Die Menschen glaubten ihm, wenn er von Tod und Verhängnis als Folge der Sünde sprach. Und er war dort nicht nur ein einfacher Prediger, sondern stand der Inquisition vor, die ihre scharfen Augen auf Joèlle gerichtet hatte, wie auf alle, die Nachfahren der Katharer waren. Weißt du, was der Name bedeutet?«
Lena nickte unsicher. »Ketzer?«, fragte sie dann.
»Ihre Überzeugung stimmt nicht mit der offiziellen Lehre der Kirche überein. Sie glauben, dass die Schöpfung böse ist und nur geschaffen wurde, um den Menschen von Gott zu entfernen. Ziemlich krauses Zeug also, das sie dazu bringt, ein asketisches Leben zu führen. Die meisten Katharer von Carcassone sind vor fast hundert Jahren beim großen Feldzug umgekommen, als die Scheiterhaufen brannten. Aber ihre Großeltern und ihre Eltern haben den Glauben heimlich weitergetragen. Joèlle und ihre Schwester waren katharischer Abstammung, aber sie hatten sich der Kirche zugewandt und lebten auch kein verborgenes Leben nach den Regeln der Sekte. Frère Mort unterstellte ihnen, sie hätten dem falschen Glauben nicht abgeschworen und Joèlle sei auf dem Wege, eine »Perfecta« zu werden, eine Priesterin ihres Glaubens.« Lionel rutschte bis an den vorderen Rand der Bank, stützte die Arme auf die Knie und raufte sich die Haare. Als er den Kopf hob, sah Lena die Tränenspuren, die sich seine Wangen herunterzogen. »Ich habe bisher noch mit fast niemandem über diese Dinge gesprochen. Es war hart. Der Dominikaner verdächtigte sie trotz ihrer Ehe mit mir und der Tatsache, dass sie schwanger war. Du musst
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