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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Er kam noch näher. Aber nur für einen Moment. Dann konnte sie regelrecht sehen, wie etwas in seinem Blick erlosch. Fast hastig ließ er ihr Gesicht los und zog sich zwei Schritte weit zurück. Er wirkte erschrocken, fast ein bisschen schuldbewusst. »Geh jetzt«, sagte er. Und war verschwunden.
    Arri blinzelte benommen in die Runde. Ihr Herz hämmerte noch immer so hart, als wollte es ihr aus der Brust springen, und es vergingen noch einige weitere verwirrende Augenblicke, bis Arri begriff, dass Dragosz sich natürlich nicht einfach in Luft aufgelöst hatte. Vielmehr war sie es gewesen, die einfach aufgehört hatte, die Welt um sich herum wahrzunehmen.
    Dafür brach diese Welt nun mit um so größerer Wucht über sie herein. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass es längst nicht mehr nur ihre Hände und Knie allein waren, die zitterten. Sie bebte am ganzen Leib. Die Wasserschale, die sie in den Händen hielt, war längst wieder leer. Ihre Wangen glühten, als hätte sie Fieber, das Blut, das durch ihre Adern rauschte, schien sich in siedendes Öl verwandelt zu haben. Ihre Finger fühlten sich an, als wären sie zu Eis erstarrt. Die Welt schien sich rings um sie zu drehen, und fast kam es ihr vor, als bewege sich selbst der Boden, auf dem sie stand.
    Was war nur mit ihr los?
    Tief in sich drinnen wusste sie sehr wohl, was es war, aber es war ein verbotenes Wissen, vor dem sie zurückschrak wie vor einer ebenso verlockenden wie verzehrenden Flamme.
    Wo war Dragosz?
    Arris Blick tastete unstet über den Waldrand, suchte in den Schatten nach ihm und versuchte eine Spur zu erhaschen, irgendein Zeichen, dass er da gewesen war, als benötige sie einen Beweis dafür, dass es diese Begegnung überhaupt gegeben hatte.
    Es gab keinen. Der geheimnisvolle Fremde war so lautlos und rasch wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war.
    Sie musste zurück! Sie musste ihrer Mutter davon berichten, von allem, was er gesagt hatte, und vor allem davon, was er beinahe getan hätte!
    Hastig fuhr sie herum, war mit zwei Schritten am Waldrand und machte dann noch einmal kehrt, um zum Bach zu gehen und die Wasserschale zum dritten Mal zu füllen. Im Grunde war es völlig aberwitzig. Ihre Mutter hatte Wasser, und nach dem, was gerade geschehen war, spielte es überhaupt keine Rolle, und zugleich war es ihr mit einem Mal unglaublich wichtig, dieses Wasser zurückzubringen; nicht weil Lea das Wasser brauchte, sondern weil sie ihr aufgetragen hatte, es zu holen. Ihr schlechtes Gewissen (warum eigentlich?) brannte wie eine Flamme in ihr und machte es ihr fast unmöglich, auch nur zu atmen. Behutsam, die Schale mit Wasser mit ausgestreckten Armen vor sich haltend wie einen unendlich kostbaren Schatz, von dem sie unter gar keinen Umständen auch nur den winzigsten Tropfen verschütten durfte, machte sie sich auf den Rückweg.

18
    All ihre Bedenken und Ängste, ob und vor allem wie sie ihrer Mutter von ihrer Begegnung mit Dragosz beichten sollte, erwiesen sich als überflüssig, als sie zu der kleinen Felsengruppe auf der anderen Seite des Waldes zurückkehrte. Obwohl die Sonne den Horizont zwar bereits berührte, aber noch nicht untergegangen war, fand sie ihre Mutter schlafend vor, in der gleichen Haltung, in der sie vorhin dagesessen hatte, mit Kopf und Rücken gegen den Felsen gelehnt und einem Ausdruck vollkommener Erschöpfung auf den im Schlaf erschlafften Zügen. Viel mehr vielleicht als alles, was Dragosz gesagt hatte, machte ihr dieser Anblick klar, wie Recht er gehabt hatte: Arri war es den ganzen Tag über nicht aufgefallen, denn sie war viel zu sehr mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt gewesen, doch das Gefühl von schlechtem Gewissen, das sie auf dem Weg hierher begleitet hatte, schien nun regelrecht aufzulodern, als ihr klar wurde, wie erschöpft ihre Mutter wirklich war. Wahrscheinlich hatte sie während der gesamten Nacht zuvor kein Auge zugetan, und der Weg, der hinter ihnen lag, musste sie überdies zusätzlich angestrengt haben, auch wenn sie ihn vermeintlich bequem auf dem Kutschbock zugebracht hatte.
    Obwohl das nun vollkommen sinnlos geworden war, setzte Arri die Schale mit Wasser so behutsam vor ihrer Mutter ab, wie sie sie hierher getragen hatte; das ganze Stück, ohne auch nur einen einzigen Tropfen zu verschütten, als wäre es tatsächlich eine Opfergabe, die sie ihrer Mutter brachte und nicht einfach nur eine Schale mit kaltem Wasser, das sie überdies nicht wirklich brauchte. Im allerersten Moment fühlte sie sich

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