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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und Kranken gepflegt und euch ein paar Dinge beigebracht, auf die ihr wahrscheinlich im Lauf der Zeit auch von selbst gekommen wärt.«
    »Ich glaube beinahe, du hast wirklich keine Ahnung.« Rahn schüttelte den Kopf. »Ich bin vielleicht nicht so viel älter als du, aber ich kann mich noch gut erinnern, wie es war, bevor ihr in unser Dorf gekommen seid. Die Alten erzählen oft genug davon, und auch ich kenne diese Zeit noch.« Er sah sie nachdenklich an. »Wann hast du das letzte Mal gehungert?«
    »Heute«, antwortete Arri wahrheitsgemäß. Ihr Magen knurrte gehorsam, um ihre Behauptung zu unterstreichen, und Rahn lächelte flüchtig, wurde aber sofort wieder ernst.
    »Ich meine wirklich gehungert«, beharrte er. »Nicht einen Tag oder einen Monat, sondern einen ganzen Winter lang? Kennst du das Gefühl, nicht zu wissen, ob du das nächste Frühjahr noch erleben wirst, weil der Hunger dir die Eingeweide zerreißt und die Vorräte schon längst verdorben sind? Weißt du, wie es ist, wenn du deine Brüder und Schwestern vor Hunger sterben siehst und dich fragst, ob du vielleicht der Nächste bist?«
    »Nein«, sagte Arri.
    »Woher auch?«, schnaubte Rahn. »Ich kenne es, und jeder, der älter ist als ich, kennt es auch. Die Alten erzählen von Jahren, in denen nur die Hälfte des Dorfes noch am Leben war, wenn der Schnee schmolz. Und weißt du, warum du diese Zeit nie erlebt hast?«
    »Nein«, antwortete Arri, »und es kümmert mich auch nicht! Bist du nur hergekommen, um.«
    »Weil es sie nicht mehr gibt, seit deine Mutter zu uns gekommen ist«, fuhr Rahn ungerührt fort. »Deine Mutter hat uns so viel Neues gelehrt. Die Felder bringen reichere Ernten ein, und die Jäger wissen stets, wo sie das meiste Wild erlegen können. Sie hat uns gelehrt, bessere Werkzeuge zu schmieden und die Saat stets zum rechten Zeitpunkt auszubringen.« Er schüttelte den Kopf, um klarzumachen, dass er die Aufzählung noch eine geraume Weile fortsetzen könnte, machte dann aber nur eine abschätzende Handbewegung. »Deine Mutter hat dem Dorf Wohlstand und Sicherheit beschert, Arianrhod, und die Leute wissen das.«
    »Wenn es wahr ist, dann haben sie eine sehr seltsame Art, ihre Dankbarkeit zu zeigen«, sagte Arri spitz und fügte in Gedanken hinzu: dich eingeschlossen; vorsichtshalber aber wirklich nur in Gedanken. Dennoch sah Rahn sie so vorwurfsvoll an, als hätte sie genau diesen Gedanken laut ausgesprochen. Dann aber zog er nur die linke Augenbraue hoch und fuhr fort: »Manchmal ist es schwer, immer nur Dankbarkeit zu zeigen. Die Leute fühlen sich in der Rolle des ewigen Bittstellers nicht wohl.«
    Arri sah ihn verständnislos an.
    »Geht es dir nicht auch so?«, fragte Rahn. »Ich meine: Was ist dir lieber? Immer nur von einem Almosen leben zu müssen oder von deiner eigenen Hände Arbeit?«
    Arri sah ihn nur mit noch größerer Verständnislosigkeit an, und Rahn seufzte leise und schüttelte den Kopf. Er wirkte enttäuscht.
    »Warum erzählst du mir das alles?«, wollte Arri wissen.
    »Vielleicht, damit du verstehst, warum die Menschen im Dorf so zornig auf euch sind«, antwortete Rahn ernst.
    Diesmal musste Arri ihrer Verständnislosigkeit nicht einmal sehr spielen. »Sie sind zornig auf uns, weil sie uns Dank schulden?«, murmelte sie verwirrt. »Was ist denn das für ein Unsinn?«
    »Seit ihr in unser Dort gekommen seid«, antwortete Rahn ruhig, »hat deine Mutter den Menschen gezeigt, um wie viel größer ihr Wissen ist. Sie ist es, denen sie bessere Ernten verdanken. Niemand muss mehr Angst haben, den nächsten Winter nicht mehr zu überleben oder zu sterben, weil er sich in den Finger geschnitten und die Wunde sich entzündet hat.« Er schüttelte heftig den Kopf, obwohl Arri gar nicht versucht hatte, zu widersprechen oder auch nur irgendetwas zu sagen, und fuhr lauter und in fast vorwurfsvollem Ton fort: »Aber sie hat ihr Wissen nie mit anderen geteilt. Sie behält es eifersüchtig für sich und hütet es wie einen Schatz. Die Menschen im Dorf wissen, dass es ihnen weiter gut geht, solange deine Mutter bei ihnen ist, und nun will sie gehen. Einfach so. Und du erwartest Dankbarkeit?«
    »Was denn sonst«, gab Arri patzig zurück. »Aber wenn sie nicht wollen, ist es auch gut. Und dann ist es ja wohl sowieso das Beste, wenn wir euch nicht länger zur Last fallen. Ganz abgesehen davon, dass Sarn uns sowieso schon lange am liebsten mit Schimpf und Schande aus dem Dorf gejagt hätte und Nor uns unter Druck gesetzt hat.«
    Rahn

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