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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erzählt hatte. Sie hatte es nicht geglaubt, aber mit einem Mal war sie sich gar nicht mehr so sicher, dass sich Lea diese Geschichte tatsächlich nur ausgedacht hatte, um sie von eigenmächtigen Spaziergängen in die Wälder abzuhalten.
    Arri lauschte angestrengt. Ihr Herz hämmerte viel zu laut, als dass sie auch nur das geringste andere Geräusch hätte wahrnehmen können, und ihre Angst gaukelte ihr Bewegungen vor, wo keine waren. Dann aber hörte sie erneut das Knacken eines trockenen Astes, gefolgt von dem Geräusch großer, schwerer Pfoten auf trockenem Laub, und einen Laut, der ihr schier das Blut in den Adern gerinnen ließ: ein tiefes Knurren.
    Arri fuhr mit einem Schrei auf den Lippen herum, ließ den Korb fallen und stürmte davon. Etwas antwortete auf ihren Schrei, tief, drohend und ungemein gierig. Aus dem vorsichtigen Tappen schwerer Pfoten wurde ein rasendes Trommeln, das entsetzlich schnell näher kam, und sie spürte die Gefahr, noch bevor der Schatten in ihren Augenwinkeln auftauchte und sie sich instinktiv fallen ließ. Etwas streifte ihre Schulter und machte aus ihrem noch halbwegs kontrollierten Sturz einen Schlag, der sie mit solcher Wucht auf den weichen Waldboden schmetterte, dass ihr die Luft aus den Lungen gepresst wurde und sich ihr gellender Angstschrei in ein halb ersticktes Keuchen verwandelte. Schmerz flackerte wie eine Folge kleiner gelber Blitze über ihre Augen und machte sie für einen Moment fast blind; dann bemerkte sie beinahe überrascht, wie ihr Körper gänzlich ohne ihr Zutun reagierte und sich herumwarf, um dem vernichtenden Sturz die allergrößte Wucht zu nehmen.
    Es war dennoch so schlimm, dass sie beinahe das Bewusstsein verlor. Hilflos rollte sie über den nicht nur mit weichem Laub, sondern auch mit spitzen Steinen und gefährlich zerbrochenen Ästen übersäten Waldboden, überschlug sich drei-, vier-, fünfmal und wäre vermutlich noch weiter gerollt, hätte nicht ein dorniger Busch ihrer Schlitterpartie ein unsanftes Ende bereitet. Etwas schrammte über ihr Gesicht und hinterließ eine dünne, nasse Linie, die schon im nächsten Augenblick heftig brannte, und abermals zuckten grelle Schmerzblitze über ihr Blickfeld und hinterließen eine Spur aus wattiger Schwärze, die sie im ersten Moment vergeblich wegzublinzeln versuchte.
    Als sich ihre Sinne wieder klärten, erklang das Knurren erneut. Arri zwang sich mit aller Willenskraft, die sie noch aufbringen konnte, die Augen zu öffnen und den Kopf in die entsprechende Richtung zu drehen, und sie sah ihre schlimmsten Befürchtungen nicht erfüllt, sondern übertroffen.
    Es war ein Wolf - der mit Abstand größte und hässlichste Wolf, den sie jemals gesehen hatte. Das Ungeheuer war nahezu so groß wie ein Kalb und hatte ein schwarzgrau geflecktes, struppiges Fell. Seine Zähne, von denen schaumiger Geifer troff und die zu einem drohenden Knurren gebleckt waren, mussten annähernd so lang wie ihr kleiner Finger sein, und seine Augen starrten sie mit einer Gier an, die Arri auch noch das letzte bisschen Mut nahm.
    Aber etwas stimmte nicht mit ihm. Das Tier war riesig. Viel größer als jeder Hund, den sie je gesehen hatte, und hundertmal wilder, aber es war auch nahezu zum Skelett abgemagert. Unter seinem struppigen, von zahllosen Geschwüren und nässenden Wunden durchlöcherten Fell stachen die Rippen hervor. Eines seiner Ohren war abgerissen, und die Wunde war so entzündet, dass sie in einem dunklen Rot zu leuchten schien, und selbst über die große Entfernung hinweg konnte Arri den üblen Geruch wahrnehmen, den das Tier verströmte. Ein Geruch, der sie an Krons Arm erinnerte, als er zu ihrer Mutter gekommen war. Der angeschlagene Gigant schien Mühe zu haben, in die Höhe zu kommen. Sein missglückter Angriff hatte Arri von den Füßen gefegt, aber der Wolf war ebenfalls gestürzt und versuchte nun vergeblich, wieder auf alle viere zu kommen. Erst nach dem dritten oder vierten Anlauf gelang es ihm, zitternd aufzustehen und einen Schritt zu machen. Und es war nur ein Wolf ohne die Begleitung eines ganzen Rudels.
    Arri schöpfte Hoffnung. Sie war noch immer wie benommen vor Angst und zitterte am ganzen Leib, aber zugleich war da auch eine unhörbare Stimme in ihr, die die Lage ganz nüchtern betrachtete und den Wolf mit einem einzigen Blick einschätzte. Das Tier war verletzt und krank, vermutlich ein Einzelgänger, den das Rudel ausgestoßen hatte und der nun verzweifelt versuchte, allein zu überleben, und schon

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