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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und nimmer mehr vermutet hätte, und sprang sie mit weit aufgerissenem Maul an. Arri ließ sich unwillkürlich zur Seite fallen und schlug mit dem Stock zu. Sie verfehlte den Wolf genau so knapp, wie die zuschnappenden Kiefer des Tieres ihr Ziel verfehlten. Arri stürzte, doch auch der Wolf kam nicht so fließend und schnell wieder auf die Beine, wie er es vermutlich zeit seines Lebens gewohnt gewesen war, sondern brach mit einem schrillen Jaulen in den Hinterläufen ein und blieb benommen und winselnd vor Schmerz liegen. Nicht lange, aber die Zeit reichte Arri trotzdem, wieder auf die Beine zu kommen und den Stock fester zu ergreifen.
    Jetzt wäre der Moment gewesen, herumzufahren und davonzurennen, und das sogar mit einiger Aussicht auf Erfolg. Der Wolf versuchte vergeblich, in die Höhe zu kommen. Ein- oder zweimal gelang es ihm sogar, aber er brach immer wieder in den Hinterläufen ein, und sein Heulen und Jaulen klang jetzt kaum mehr drohend, sondern fast schon Mitleid erregend. Sie glaubte nicht, dass dieses Tier noch die Kraft hatte, sie zu verfolgen, geschweige denn einzuholen.
    Aber sie lief nicht davon. Sie ergriff ganz im Gegenteil nun mit beiden Händen ihren Knüppel, bewegte sich mit kleinen, vorsichtigen Schritten auf den Wolf zu, immer auf einen plötzlichen Angriff gefasst und bereit, zurückzuspringen, und ging schließlich in einem weiten Bogen um ihn herum. Ohne es zu merken, hielt sie den Knüppel nun nicht mehr wie einen Stock, sondern wie ein Schwert, ganz, wie ihre Mutter es ihr gezeigt hatte, nahm mit leicht gespreizten Beinen neben dem Tier Aufstellung - und zertrümmerte ihm mit einem einzigen, wuchtigen Schlag den Schädel.
    Zitternd trat sie zurück, ließ den Stock sinken und schloss für einen Moment die Augen, bis sich ihr hämmernder Herzschlag wenigstens so weit beruhigt hatte, dass sie wieder atmen konnte, ohne dabei wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft zu japsen. Als sie die Augen öffnete, lag der Wolf reglos ausgestreckt und auf die Seite gefallen vor ihr. Ein dünnes Rinnsal aus überraschend hellem Blut lief aus seinem Ohr, und seine Augen starrten blicklos ins Leere.
    Plötzlich zitterten ihre Hände so stark, dass sie alle Mühe hatte, den Knüppel nicht fallen zu lassen. Ein Sturm von Gefühlen brach über sie herein und ließ sie wanken, wobei Furcht und Verwirrung die Oberhand hatten, zugleich aber auch noch etwas völlig anderes, Neues, und auf eine sonderbare Weise zugleich Erschreckendes und Erregendes. Warum hatte sie das getan? Arri starrte ihre Hände an, dann den abgebrochenen Ast, an dessen Ende ein einzelner Blutstropfen und ein paar drahtige, schwarz-graue Haare klebten, und schließlich den reglos daliegenden Wolf. Sie wollte Erleichterung verspüren, denn dieses Tier war aus keinem anderen Grund hier aufgetaucht, als sie zu töten, aber alles, was sie empfand, war eine tiefe, fast hoffnungslose Verwirrung und ein ganz leises, zwar absurdes, aber dennoch vorhandenes Gefühl von Schuld. Sie hatte sich nur verteidigt, und trotzdem hatte sie das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben.
    Arri versuchte sich damit zu trösten, dass sie diese bemitleidenswerte Kreatur letzten Endes von ihren Leiden erlöst hatte. Auch das half nichts. Sie hätte dem Wolf spielend davonlaufen können, und schwach und verwundet, wie er war, hätte er vermutlich auch keine weitere Gefahr mehr dargestellt. Zumindest hätte sie ins Dorf laufen und die Jäger alarmieren können, damit sie sich um das Raubtier kümmerten.
    Zutiefst verwirrt über ihre eigenen, einander widerstrebenden Gefühle, ließ Arri den Stock fallen, drehte sich um und ging mit langsamen, fast bedächtigen Schritten los. Sie war noch nicht weit gekommen, als es hinter ihr raschelte. Arri zuckte erschrockenen zusammen. Sie drehte sich um, und ein entsetztes Keuchen kam über ihre Lippen.
    Der Wolf war nicht tot. Er war nicht einmal bewusstlos. Das Geräusch, das sie gehört hatte, war das, mit dem sich das schwer verletzte Tier in die Höhe gearbeitet hatte. Aus seinem Ohr lief jetzt mehr Blut, und auch der Speichel, der von seinen Lefzen troff, hatte sich hellrot gefärbt. Ein tiefes, unvorstellbar drohendes Knurren drang aus seiner Brust, während er sich vollends zu ihr umdrehte und auf eine groteske Art humpelnd loslief.
    Grotesk vielleicht - aber dennoch erschreckend schnell.
    Arri vergeudete fast die Hälfte der winzigen Zeitspanne, die ihr noch blieb, indem sie den Wolf aus fassungslos aufgerissenen Augen und

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