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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sein Gesicht nicht erkennen, denn er wandte ihr den Rücken zu, aber er hatte langes, bis weit über die Schultern fallendes, dichtes schwarzes Haar, und im allerersten Moment war es ihr unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, ob das schwarze Fell, in das er sich gehüllt hatte, tatsächlich nur ein Umhang war.
    Der Wolf gab es auf, ganz aufstehen zu wollen, und stemmte sich nur auf die Vorderläufe hoch. Sein von hellrotem Schaum erfülltes Maul versuchte, nach dem Mann zu schnappen, doch dieser wich dem Angriff mit einer fast spielerischen Bewegung aus und versetzte dem Tier im Gegenzug einen wuchtigen Tritt vor den Kopf, der es abermals zu Boden schleuderte. Dann griff er unter seinen Umhang, zog ein Schwert hervor und stieß es dem Wolf mit einer einzigen, kraftvollen Bewegung tief in den Leib. Das Tier heulte noch einmal schrill und erschlaffte dann. Der Fremde zog die Waffe zurück, wischte die Klinge mit einer sorgsamen Bewegung am Fell des toten Wolfes ab, und versetzte dem Kadaver rasch hintereinander noch zwei, drei wuchtige Tritte; vermutlich weniger, um seinen Zorn an ihm auszulassen, als eher, um sich davon zu überzeugen, dass das Tier auch tatsächlich tot war. Dann ließ er die Waffe wieder unter seinem Umhang verschwinden und drehte sich mit einer betont langsamen Bewegung zu Arri um.
    Arri erstarrte. Sie glaubte zu spüren, wie ihr Herz für einen Moment aufhörte zu schlagen und dann mit doppelter Wucht wieder einsetzte, und sie sah den Fremden aus ungläubig aufgerissenen, starren Augen an. Ihre Gedanken schienen plötzlich nur noch träge abzulaufen, wie ein unvorsichtiger Wanderer, der in den Sumpf geraten war und mit jedem Schritt mehr Kraft aufbringen musste, um von der Stelle zu kommen. Sie war nicht einmal sicher, dass sie noch atmete.
    Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte - aber ein Gesicht wie dieses hatte sie noch nie zuvor gesehen. Der Fremde war ganz eindeutig ein Mann und kein Ungeheuer, wie sie im allerersten Moment gedacht hatte, und doch war sie sich nicht einmal dessen völlig sicher. Sein Gesicht, das von rabenschwarzem lockigem Haar eingerahmt war, war kräftig und markant und dennoch viel schmaler als das der Männer aus dem Dorf, was es ihr schier unmöglich machte, sein Alter zu schätzen - noch dazu, weil er keinen Vollbart trug, wie alle anderen Männer, die Arri kannte, Nor einmal ausgenommen. Er hatte hohe, deutlich hervorstehende Wangenknochen, was sein Gesicht ein wenig wie das ihrer Mutter aussehen ließ, und sehr helle, klare Augen, die von einem sonderbaren Blau waren und Arri mit einer Mischung aus Neugier, Erleichterung und sanftem Tadel anblickten.
    Eine geraume Weile stand er einfach nur da und sah sie auf diese seltsame Art an, unter der sie sich zunehmend unwohler fühlte, obwohl sie tief in sich zu spüren glaubte, dass von diesem Fremden keine Bedrohung ausging - immerhin hatte er ihr das Leben gerettet -, dann streckte er die Hand in ihre Richtung aus und machte einen einzelnen Schritt, blieb aber sofort wieder stehen, als Arri erschrocken zusammenfuhr und hastig ein kleines Stück rücklings vor ihm davonkroch. Für einen ganz kurzen Moment lächelte er; jedenfalls nahm sie an, dass es ein Lächeln war, auch wenn sie sich nicht ganz sicher sein konnte. Schließlich hatte sie bis auf Nor noch niemals das fast bartlose Gesicht eines erwachsenen Mannes gesehen, und dieses Blecken der Lippen, das zwei Reihen erstaunlich großer, makellos weißer Zähne entblößte, mochte ebenso gut eine Drohgebärde sein. Arri kroch vorsichtshalber noch ein weiteres Stück vor ihm davon und hob den linken, unverletzten Arm vor das Gesicht.
    »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben«, sagte der Fremde. Seine Stimme war tief und volltönend und erfüllte Arri mit einem vollkommen absurden Gefühl von Zutrauen und Sicherheit, doch sie hatte Mühe, die Worte überhaupt zu verstehen. Er sprach langsam, als müsse er über jedes einzelne Wort erst einen winzigen Augenblick nachdenken, bevor er es wählte, und mit einem rollenden Akzent, den Arri noch nie zuvor gehört hatte. Und ganz plötzlich begriff sie, wer da vor ihr stand.
    Es musste einer der Fremden sein, die Grahls Bruder erschlagen und Kron verwundet hatten!
    Das Gefühl vorsichtiger Erleichterung, das sie bisher verspürt hatte, verschwand schlagartig. Sie hatte die Geschichten, die man sich im Dorf erzählte, nicht wirklich geglaubt. Ebenso wie ihre Mutter war sie der Meinung gewesen, dass Grahl und die anderen logen -

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