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Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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eben erwähnte ursprüngliche Idee von (drei) elementaren Bausteinen vorzuweisen hat, nämlich eine – gemeinsam mit Feynman im Jahre 1957 aufgestellte – Theorie des radioaktiven Betazerfalls und seiner Teilchen, die durch die schwache Wechselwirkung erzeugt werden. Auf der anderen Seite übergeht die schwedische Begründung eindeutig Gell-Manns Theorie zum Aufbau der Materie, die er im Anschluss an die erste Einführung seiner Quarks ausarbeiten konnte. Sein Vorschlag für eine Konstruktion der Welt von unten operiert nicht nur mit mehr als den drei frühen Quarks, er führt darüber hinaus noch weitere Eigenschaften (sogenannte Farbladungen) ein, um so in einem Standardmodell alle Merkmale der atomaren Materie zu liefern. Doch auf dieses Gedankenspiel geht die Schwedische Akademie nicht ein. Sie zeichnet nur aus, was der junge Gell-Mann geleistet hat, und hält sich ansonsten dezent zurück.
Der Jaguar
    Es gibt viele Physiker, die ähnlicher Meinung sind, dass der späte Gell-Mann sich zwar bemüht, aber zugleich auch verirrt hat. Sein umfassendes Quarkmodell, das technisch Quantenchromodynamik (QCD) genannt wird und mit die-sem Namen an Feynmans funktionierende Quantenelektrodynamik (QED) erinnern soll, kennt nicht nur Befürworter, sondern auch Skeptiker in der Zunft. Und als Gell-Mann nach langer Dienstzeit das Caltech im Alter von 64 Jahren verließ, um sich einer völlig neuen Herausforderung zu stellen, nämlich nach dem Einfachen (der Teile) das Komplexe (des Ganzen) zu erforschen, verloren einige Kollegen jedes Interesse an seinem Tun. Tatsächlich ist es sehr ruhig um den sonst so lauten Mann geworden.
    Dabei klingt höchst aufregend, was Gell-Mann nach seinem Abschied von Kalifornien unternahm. Er zog nach New Mexico, um an dem in Santa Fe eingerichteten Institut mitzuwirken, das seit den 1980er-Jahren konzipiert worden war, um eine Wissenschaft der Komplexität auf die Beine zu stellen, mit der man die bisherigen Grenzen des Wis-sens erweitern und sich den realen Problemen einer bekanntlich keinesfalls einfachen Welt stellen kann.
    Seinen abenteuerlichen Versuch, dabei eine neue Erklärung für den Menschen betreffende physikalische Phänomene zu finden, hat Gell-Mann in seinem 1994 erschienenen Buch Das Quark und der Jaguar beschrieben. Der Titel geht auf ein Gedicht des chinesisch-amerikanischen Poeten Arthus Sze zurück, der mit einer Indianerin vom Stamm der Hopi verheiratet ist. Nachdem Sze von Gell-Mann nicht nur etwas über Quarks erfahren, sondern auch von dessen Zusammentreffen mit einem Jaguar im südamerikanischen Regenwald gehört hatte, brachte er den geheimnisvollen Satz zu Papier: »Das Reich des Quark gleicht einem Jaguar, der in der Nacht umherstreicht.« Physiker würden sich we-niger poetisch ausdrücken und einfach sagen, dass sie eine wunderbare Aufgabe gefunden haben, wenn sie erklären wollen, wie aus den elementaren Quarks komplexe Formen wie ein Jaguar möglich und wirklich werden.
    Gell-Mann hoffte in Santa Fe wissenschaftlich nachweisen zu können, dass eine schichtweise entstehende Komplexität im Grunde simplen Regeln folgt, die uns zugänglich sind und ihrerseits zufällig zum Tragen kommen. Er führte das Konzept eines »komplexen adaptiven Systems« ein, das in der Lage ist, Informationen aus der Umwelt zu verarbeiten und dabei Regelmäßigkeiten zu erkennen. Letztere bringt das System sogleich in ein »Schema«, mit dem es anschließend in der realen Welt agieren kann. Gell-Mann will vor allem verstehen, wie beim Zusammenschluss einfacher Teile komplizierte Qualitäten entstehen – man spricht von »Emergenz«, etwa wenn Wassermoleküle zusammen das Phänomen der Flüssigkeit zeigen. Und er möchte emergente Erscheinungen durch simple Formeln und Regeln ausdrücken, um so wissenschaftliche Untersuchungen überhaupt erst zu ermöglichen. Noch arbeitet er an diesem Projekt, und wir nutzen die Zeit, um einen Blick auf die Quarks zu werfen, die Gell-Mann berühmt gemacht haben, und zwar weltweit.
Ordnung im Zoo der Elementarteilchen
    Um zu verstehen, was Gell-Manns Quarks zu leisten imstande sind, muss man etwas in die Vergangenheit zurückgehen und sich vergegenwärtigen, was die Physiker zu erklären hatten, als die ersten Teilchenbeschleuniger gebaut waren und funktionierten. In der Frühzeit der Physik dachten die Experten, die Welt bestehe aus den wenigen Elementarbausteinen, die sie Elektron, Proton und Neutron nannten. Eines Tages gesellte sich ihnen noch ein

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