Die Hintertreppe zum Quantensprung
Institution blieb er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1993 treu. Dazu sollte man wissen, dass Gell-Mann 1967 an seinem Arbeitsplatz eine hübsche Karriere machte, als seine normale Professur in eine verwandelt wurde, die einen berühmten Namen trägt. Gell-Mann wurde Robert-Millikan-Professor für Physik, wobei Millikan den mit Nobelehren versehenen Gründer des Caltech meint. Die amerikanischen Universitäten ehren mit diesen name professorships gerne ihre großen Forscher und binden sie an sich – nicht zuletzt, indem sie ihnen bessere Bezüge und Privilegien gewähren. Gell-Mann nutzte sie, um möglichst wenig Lehre zu betreiben. Seine Seminare handelten stets von aktuellen Problemen der Physik, also von dem, was ihm gerade durch den Kopf ging.
Am Caltech drang Gell-Manns Fantasie immer tiefer in die Materie, genauer gesagt, in die immer kleiner werdenden Teilchen der Atome ein, wobei seine grundlegenden und weiterführenden Beiträge vor allem aus den Jahren zwischen 1954 und 1964 stammen, also aus dem Zeitraum zwischen seinem 25. und seinem 35. Lebensjahr. Damals kam er zu der zunächst wenig akzeptierten Einsicht, dass die Vielfalt der atomaren Bausteine, die von der überwiegenden Zahl seiner Kollegen als elementar betrachtet wurden, erst dann zu verstehen und in eine Ordnung zu bringen ist, wenn man annimmt, dass sie eine innere Struktur aufweisen und insofern aus anderen, noch kleineren Teilchen aufgebaut sind. Es sind dann erst diese Gebilde, die es überhaupt verdienen, mit dem Attribut »elementar« ausgezeichnet zu werden. Gell-Mann kam in Kalifornien – unter anderem in Kooperation mit dem aus Moskau stammenden George Zweig – zunächst zu dem Schluss, dass genau drei solcher Grundbestandteile nötig sind, um zum Beispiel ein Proton zu formen, wie es aus Atomkernen bekannt ist. Diese Dreizahl inspirierte ihn zu einem seltsamen Namen, der ohne Rücksicht auf die Eigentümlichkeiten der deutschen Sprache eingeführt wurde und trotzdem auch hierzulande populär geworden ist. Immerhin gibt es eine Fernsehshow, die sich mit ihm schmückt (und die wir gleich nennen).
Als Gell-Mann über das Innenleben von Protonen und anderen Kernbausteinen grübelte, las er immer mal wieder zur Entspannung in dem Roman Finnegans Wake von James Joyce, der als ein Roman der Sprache selbst verstanden werden muss und keine Handlung von Personen im üblichen Sinne kennt. Gell-Mann gefielen die vielen Wortspiele, die Joyce unternahm, und er wurde besonders aufmerksam, als auf Seite 383 seiner Ausgabe zu lesen stand, wie ein Mann namens Mark etwas zum Trinken (Bier) bestellte, was im Englischen gewöhnlich in quarts geschieht, die »kworts« gesprochen werden. Aus dem Protagonisten Mister Mark machte Joyce einen »Muster Mark«, der statt eines Quarts merkwürdigerweise »three quarks« orderte, die »kworks« zu sprechen sind und genau das waren, was Gell-Mann suchte, nämlich drei Teilchen für ein Proton. [5]
Prompt nannte er seine elementaren Teilchen »Quarks«, offenbar ohne zu wissen, woher Joyce das Wort hatte: nämlich von Markgräfler Marktfrauen, die auf einem Bauernmarkt in Freiburg, den der durchreisende Dichter aufsuchte, Quark als ein bekanntes Milchprodukt feilboten. Zudem war sich Gell-Mann anscheinend nicht bewusst, dass das Wort in seinem Herkunftsland Deutschland außerhalb der Welt der Lebensmittel keinen besonders guten Ruf hat. Der große Goethe zum Beispiel hat sich seinen Spaß mit ihm gemacht, als er in seinem Faust dem Teufel die Chance gibt, den Forschergeist des Menschen mit den Satz zu charakterisieren: »In jeden Quark begräbt er seine Nase.« Und wenn sich eine Wissenschaftssendung Quarks & Co nennt, dann erkennt man leicht, dass die Verantwortlichen zeigen wollen, dass sie sich in der Physik auskennen. Aber wir se-hen zugleich auch, dass ihnen das nötige Sprachgefühl abgeht, wenn sie Quark der Art produzieren, den man nicht verspeisen kann.
Doch lassen wir das Milchprodukt, wo es hingehört, nämlich bei den Lebensmitteln. Hier geht es um Wissenschaft und die physikalische Mehrzahl Quarks (sprich: kworks). Ihr Schöpfer erhielt ihretwegen 1969 den Nobelpreis für Physik, wobei man genauer sagen muss, dass die Schwedische Akademie Gell-Mann insgesamt »für seine Beiträge und Entdeckungen betreffend der Klassifi zierung der Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen« ausgezeichnet hat. Diese Begründung hat zwei Seiten. Auf der einen drückt sie aus, dass Gell-Mann mehr als die
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