Die historischen Romane
knüpfte sie an den höchsten Bäumen auf, zwanzig bis dreißig auf einmal, damit der Anblick ihrer Leichen als ewige Mahnung und abschreckendes Beispiel diene, so dass es fortan niemand mehr wage, den Frieden des Reiches zu stören.
Einzigartig an dieser Geschichte war indessen, dass Salvatore sie mir erzählte, als habe es sich um eine fromme und gottesfürchtige Unternehmung gehandelt. Tatsächlich war er immer noch fest davon überzeugt, dass die Horde der Pastorellen durchs Land gezogen sei, um das Heilige Grab aus den Händen der Ungläubigen zu befreien, und ich konnte ihm nicht begreiflich machen, dass diese schönste aller Befreiungen längst vollbracht worden war, zu Zeiten Peters des Eremiten und zu Zeiten des heiligen Bernhard und zuletzt unter der Herrschaft Ludwigs des Heiligen von Frankreich. Doch trotz seiner großen Begeisterung für diese Sache ging Salvatore damals nicht zu den Ungläubigen, da er Frankreich so rasch wie möglich verlassen musste. Er kehrte zurück nach Oberitalien, hielt sich, wie er mir sagte, eine Zeitlang im Novaresischen auf (doch über das, was ihm dort widerfuhr, sprach er nur sehr vage) und erreichte schließlich Casale, wo er sich in das Minoritenkonvent aufnehmen ließ (dort war er dann wohl seinem späteren Gönner Remigius begegnet). Das war genau zu der Zeit, als zahlreiche Minoriten, verfolgt vom Papst, die Kutte wechselten und in den Klöstern anderer Orden Zuflucht suchten, um nicht als Ketzer verbrannt zu werden – genau wie es auch Ubertin erzählt hatte. Dank seiner Geschicklichkeit in vielerlei Handarbeiten (die er zu unfrommen Zwecken ausgeübt hatte, solange er frei vagabundierte, und zu frommen Zwecken, seit er aus Liebe zu Christus vagabundierte) wurde der Mönch Salvatore bald als Gehilfe des Cellerars angestellt. Und in eben dieser Eigenschaft lebte er nun schon seit langen Jahren hier oben in dieser Abtei, wenig am Schicksal des Ordens interessiert, doch um so mehr an der Verwaltung des Kellers und seiner Vorräte, endlich frei, nach Herzenslust essen zu können, ohne rauben zu müssen, und den Herrn zu loben, ohne verbrannt zu werden.
Dies war die Geschichte, die ich zwischen einem Bissen und dem nächsten von ihm erfuhr, und ich fragte mich, wieviel er davon erfunden und was er mir dabei verschwiegen hatte.
Nachdenklich und voller Neugier sah ich ihn an, nicht so sehr wegen der Einzigartigkeit seiner Erfahrungen als vielmehr, weil mir sein wechselvolles Lebensschicksal auf exemplarische Weise all die vielen Ereignisse und Bewegungen widerzuspiegeln schien, die das Italien jener Jahre so faszinierend wie unverständlich machten.
Was ergab sich aus dieser wilden Lebensgeschichte? Das Bild eines Menschen, der schreckliche Dinge gesehen und schreckliche Dinge getan hatte, der wohl auch fähig war, einen Mitmenschen umzubringen, ohne sich des Verbrecherischen seines Tuns innezuwerden. Doch obwohl mir damals noch jede Verletzung der Zehn Gebote gleichermaßen verwerflich erschien, begann ich doch schon ein wenig zu differenzieren und begriff, dass das Massaker, das eine erregte Menschenmenge anrichten kann, wenn sie von ekstatischer Verzückung gepackt wird und die Gesetze der Hölle mit denen des Himmels verwechselt, etwas anderes ist als das individuelle Verbrechen, das einer kaltblütig, heimtückisch und verschwiegen begeht. Und es schien mir unwahrscheinlich, dass Salvatore sich mit einem solchen Verbrechen befleckt haben könnte.
Andererseits gingen mir jene vagen Andeutungen durch den Kopf, die der Abt am Vortag gemacht hatte, und ich musste immerfort an jenen mysteriösen Fra Dolcino denken, über den ich zwar so gut wie nichts wusste, dessen Schatten aber auf vielen Gesprächen zu liegen schien, die ich in diesen Tagen vernommen.
So fragte ich Salvatore unvermittelt: »Hast du auf deinen Reisen niemals Bekanntschaft mit Fra Dolcino gemacht?«
Seine Reaktion war bemerkenswert. Er riss die Augen weit auf, so weit ihm das überhaupt möglich war, bekreuzigte sich mehrmals rasch hintereinander und murmelte ein paar hastige Worte in einer Sprache, die ich nun wirklich nicht mehr verstand. Es schienen mir allerdings verneinende Worte zu sein. Bisher hatte er mich mit Sympathie und Vertrauen betrachtet, ja sogar mit einer gewissen Freundschaftlichkeit. In diesem Moment sah er mich wütend und beinahe hasserfüllt an. Dann eilte er unter einem nichtigen Vorwand davon.
Jetzt gab es für mich kein Halten mehr. Wer war dieser Fra Dolcino, dessen
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