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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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bloßer Name hier allen so großen Schrecken einjagte? Ich musste es endlich wissen, allzusehr plagte mich meine Neugier. Eine Idee schoss mir durch den Kopf: Ubertin! Er hatte den Namen selber erwähnt, als wir ihn am ersten Tag trafen, er wusste alles über die klaren und weniger klaren Geschichten der Fratres und Fratizellen und anderen unruhigen Geister jener Jahre, er musste es mir erzählen! Wo mochte ich ihn zu dieser Tageszeit finden? Gewiss in der Kirche, tief im Gebet versunken. Dorthin begab ich mich also, da ich gerade nichts anderes zu tun hatte.
    Ich fand ihn nicht, ich konnte ihn auch den ganzen Tag lang nicht finden. So blieb ich weiter das Opfer meiner unbefriedigten Neugier, während andere Dinge geschahen, von denen ich nun berichten muss.

 
     
    Dritter Tag
NONA
    Worin William zu Adson über den großen Strom der Ketzerei spricht, die Funktion der Laien in der Kirche erläutert, seine Zweifel an der Erkennbarkeit der allgemeinen Gesetze äußert und schließlich ganz nebenbei erzählt, dass er die negromantischen Zeichen des toten Venantius entziffert hat.
     
    I ch fand William bei Meister Nicolas in der Werkstatt, beide waren eifrig in ihre Arbeit vertieft. Sie hatten zahlreiche Glasscherben auf dem Tisch ausgebreitet, winzige bunte Scheiben, wie man sie wohl für die Fugen und Ecken eines farbigen Fensters braucht, und hatten schon eine ganze Reihe davon mit entsprechenden Instrumenten auf die gewünschte Linsenform reduziert. William saß am Tisch und prüfte die Stücke, indem er sich eins nach dem anderen vor die Augen hielt, Nicolas gab unterdessen einigen Handwerkern Instruktionen über die Herstellung der metallenen Gabel, an der die richtigen Linsen später befestigt werden sollten.
    William schimpfte ärgerlich vor sich hin, weil die Linse, die ihm bisher am besten gefiel, smaragdfarben getönt war; er wolle, so knurrte er, die Pergamente nicht grünlich sehen, als wären sie Wiesen. Nicolas entschwand in den Nebenraum, um die Handwerker zu überwachen, und während mein Meister weiter mit seinen Scheiben hantierte, erzählte ich ihm von meinem Gespräch mit Salvatore.
    »Der Mann hat ja allerhand mitgemacht in seinem Leben«, kommentierte William meinen Bericht. »Vielleicht war er tatsächlich auch eine Zeitlang bei den Dolcinianern... Diese Abtei ist wahrhaftig ein Mikrokosmos. Wenn morgen auch noch die Legaten des Papstes kommen, sind wir wirklich komplett.«
    »Meister«, sagte ich zögernd, »mir schwirrt der Kopf, ich finde mich nicht mehr zurecht.«
    »Inwiefern, lieber Adson?«
    »Vor allem in Hinblick auf die Unterschiede zwischen den Ketzergruppen. Aber danach möchte ich Euch erst später fragen. Im Augenblick macht mir die Problematik der Unterscheidung als solche zu schaffen. Als Ihr neulich mit Ubertin spracht, schien mir, als wolltet Ihr ihm beweisen, dass Ketzer und Heilige letztlich allesamt gleich wären. Als Ihr dann mit dem Abt diskutiertet, wart Ihr bemüht, ihm die Unterschiede nicht nur zwischen Ketzern und Rechtgläubigen klarzumachen, sondern auch zwischen Ketzern und Ketzern. Mit anderen Worten, dem einen werft Ihr vor, dass er als verschieden ansieht, was im Grunde gleich ist, und dem anderen, dass er als gleich erachtet, was grundverschieden ist.«
    William legte seine Gläser für einen Augenblick auf den Tisch und sah mich an. »Mein lieber Adson«, begann er sodann, »versuchen wir, einige distinctiones zu setzen, und tun wir es ruhig zunächst in den Termini der Pariser Schule. Also, wie man dort zu sagen pflegt: Alle Menschen haben ein und dieselbe forma substantialis. Stimmst du mir zu?«
    »Gewiss«, bejahte ich, nicht ohne Stolz auf meine Bildung. »Der Mensch ist ein Tier, aber ein vernunftbegabtes, ein animal rationale, und sein besonderes Merkmal ist, dass er zu lachen vermag.«
    »Richtig. Aber Thomas ist anders als Bonaventura, Thomas ist massig und Bonaventura ist mager, und es kann sogar vorkommen, dass Uguccione schlecht ist, während Franziskus gut ist, und Aldemarus verhält sich phlegmatisch, während Agilulf leicht aus der Haut fährt. Habe ich recht?«
    »Ohne Zweifel.«
    »Mithin gibt es zwischen verschiedenen Menschen Identität im Hinblick auf ihre forma substantialis oder Wesensform und Differenz im Hinblick auf ihre vielfältigen accidentia oder äußerlichen Erscheinungsformen.«
    »Keine Frage.«
    »Wenn ich also zu Ubertin sage, dass ein und dieselbe Natur des Menschen, bei aller Komplexität seiner Handlungen, sowohl die Liebe

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