Die historischen Romane
Salvatores Erzählung, die sich in meinem Kopfe vermengte mit dem, was ich von früher wusste, traten diese Differenzierungen nicht hervor: alles schien allem zu gleichen. Einmal wirkte er fast wie einer jener verkrüppelten Bettler in der Touraine, die der Legende zufolge die Flucht ergriffen, als der wundertätige Leichnam des heiligen Martin nahte, weil sie fürchteten, der Heilige werde sie heilen und ihnen damit die Grundlage ihres Lebensunterhaltes entziehen, doch gnadenlos erbarmte Sankt Martin sich ihrer, indem er sie, bevor sie die Grenze erreichten, für ihre Niedertracht bestrafte durch Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft. Ein andermal aber ging ein glückliches Strahlen über das wüste Gesicht Salvatores, als er mir erzählte, wie er eines Tages die Worte franziskanischer Wanderprediger vernommen, einfacher Minoriten, die gleich ihm auf den Straßen lebten, und wie er begriffen hatte, dass sein Landstreicherdasein nicht unbedingt als eine dumpfe Notwendigkeit erlitten, sondern auch als ein fröhlicher Ausdruck der Demut erlebt werden konnte – woraufhin er sich verschiedenen Sekten und Büßergruppen anschloss, deren Namen er mir verunstaltet nannte und deren Lehren er reichlich ungeschlacht definierte. Soviel ich verstand, hatte er wohl eine Zeitlang mit Patarenern und mit Waldensern gelebt, vielleicht auch mit Katharern, Arnoldisten und Humiliaten. Er war von Gruppe zu Gruppe gewechselt und hatte dabei gelernt, sein Vagantenleben mehr und mehr als eine Art Mission zu sehen und für den Herrn zu tun, was er zuvor für seinen Bauch getan.
Doch wie und bis wann? Wenn ich ihn richtig verstand, war er ungefähr drei Jahrzehnte vor unserem Gespräch, also kurz vor der Jahrhundertwende, in ein toskanisches Minoritenkloster gegangen und hatte die Kutte des heiligen Franz angelegt, ohne sich freilich ordinieren zu lassen. Dort, denke ich, hatte er wohl das bisschen Latein gelernt, das er sprach, vermischt mit den Idiomen sämtlicher Landstriche, die er durchzogen, und sämtlicher Weggefährten seines unsteten Daseins, von deutschen Landsknechten bis zu dalmatinischen Bogomilen. Dort auch, so sagte er mir, hatte er sich dem Büßerleben geweiht (»Penitenziagite!« rief er mit leuchtenden Augen, und wieder hörte ich jene Formel, die meinen Meister so sehr hatte aufhorchen lassen). Doch wie es scheint, hatten auch die Minderen Brüder, bei denen er damals lebte, wirre Ideen im Kopf, denn eines Tages, erzürnt über den Kanonikus der benachbarten Kirche, den sie des Raubes und anderer Ruchlosigkeiten ziehen, überfielen sie seine Pfarrei, stürzten ihn heftig die Treppe hinunter, so dass der Sünder daran verstarb, und plünderten seine Kirche. Woraufhin der Bischof Bewaffnete schickte und die Brüder sich in alle Winde zerstreuten. Von Neuem zog Salvatore lange durch Oberitalien, diesmal mit einer Bande von Fratizellen, die keinerlei Gesetz und Ordnung mehr anerkannten.
Danach verschlug es ihn in die Gegend von Toulouse, und dort geriet er in eine sonderbare Geschichte, die ihn, als er davon erfuhr, für die große Sache der heiligen Kreuzzüge entbrennen ließ. Eine Schar von Hirten und hungerndem Landvolk hatte sich eines Tages versammelt, um übers Meer zu ziehen und gegen die Feinde des Glaubens zu kämpfen. Man nannte sie Pastoureaux oder Pastorelli, die kleinen Hirten. In Wahrheit wollten sie einfach weg von ihrem verfluchten Land. Es gab zwei Anführer, einen exkommunizierten Priester und einen abtrünnigen Benediktinermönch, die jene schlichten Gemüter so sehr in Wallung gebracht hatten, dass sie ihnen blind wie eine Herde folgten und immer mehr Zulauf bekamen, sogar sechzehnjährige Knaben verließen in Scharen die Felder und schlossen sich ihnen an, ohne Geld, nur mit einem Schultersack und einem Stock, so dass es ein großer Haufe wurde. Bald achteten sie kein Recht und keine Vernunft mehr, sondern folgten nur noch ihrem Willen und ihrer eigenen Schwerkraft.
Das Beisammensein in der Menge, endlich frei und mit einer vagen Hoffnung auf das Gelobte Land, machte sie regelrecht trunken. So zogen sie durch die Dörfer und Städte, nahmen sich überall, was sie fanden, und sobald einer von ihnen gefasst wurde, stürmten sie das Gefängnis und befreiten ihn wieder. Als sie in die Festung Paris eindrangen, wo einige ihrer Genossen eingesperrt worden waren, wollte der Stadtvogt sich ihnen entgegenstellen, doch sie schlugen ihn nieder, warfen ihn von den Zinnen der Festung und sprengten die
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