Die historischen Romane
Böse oft über Umwege tätig wird. Und ich weiß, dass er seine Opfer dazu zu bringen vermag, ihre Untaten so zu vollführen, dass die Schuld auf einen Gerechten fällt, wobei es ihm dann ein besonderes Vergnügen ist, den Gerechten anstelle des Sukkubus brennen zu sehen. Leider sind viele Inquisitoren bemüht, ihren Eifer unter Beweis zu stellen und dem Angeklagten um jeden Preis ein Geständnis zu entlocken, weil sie meinen, ein guter Inquisitor sei nur, wer jeden Prozess mit einem Schuldspruch beendet...«
»Auch Inquisitoren können Werkzeuge des Teufels sein«, warf William ein.
»Schon möglich«, gab Abbo vorsichtig zu, »denn die Pläne des Allerhöchsten sind unerforschlich. Doch liegt es mir fern, auch nur den Schatten eines Verdachts auf so wohlverdiente Männer zu werfen. Im Gegenteil, ich wende mich heute an Euch als einen von ihnen. In dieser Abtei ist nämlich etwas geschehen, das die Aufmerksamkeit und den Rat eines Mannes von Eurem Scharfsinn und Eurer Umsicht erheischt. Von Eurem Scharfsinn, um es aufzuklären, und von Eurer Umsicht, um es hernach (gegebenenfalls) wieder gnädig zuzudecken. Denn oft kommt man nicht umhin, die Schuld eines Mannes herauszufinden, der ein Vorbild an Heiligkeit sein sollte, aber dabei so vorzugehen, dass man den Grund des Übels beseitigen kann, ohne den Schuldigen damit der öffentlichen Verachtung preiszugeben. Wenn ein Hirte fehlgeht, muss er von den anderen Hirten isoliert werden. Aber wehe, wenn die Herde an ihren Hirten zu zweifeln begönne.«
»Ich verstehe«, sagte William. Bereits bei früheren Gelegenheiten hatte ich bemerkt, dass er, wenn er sich so verständnisvoll äußerte, in dieser höflichen Formel meist einen Dissens oder jedenfalls ein Erstaunen verbarg.
»Deswegen«, fuhr der Abt fort, »bin ich der Meinung, dass Fälle, die den Fehltritt eines Hirten betreffen, stets nur Männern wie Euch anvertraut werden sollten – Männern, die nicht nur gut und böse zu unterscheiden wissen, sondern auch opportun und nicht opportun. Es freut mich, dass Ihr immer nur dann verurteilt habt, wenn...«
»...der Angeklagte schlimme Verbrechen begangen hatte wie Vergiftungen, Verführung unschuldiger Kinder und andere Verruchtheiten, die auszusprechen meine Lippen nicht wagen...«
»...dass Ihr immer nur dann verurteilt habt«, fuhr der Abt unbeirrt von der Unterbrechung fort, »wenn die Präsenz des Dämons so offenkundig für jedermann war, dass man nicht anders hätte verfahren können, da Nachsicht skandalöser gewesen wäre als das Verbrechen selbst.«
»Wenn ich jemanden schuldig gesprochen habe«, präzisierte William, »dann weil er tatsächlich Verbrechen so schlimmer Art begangen hatte, dass ich ihn guten Gewissens dem weltlichen Arm überlassen konnte.«
Der Abt schien ein wenig verunsichert. »Warum sprecht Ihr so beharrlich von schlimmen Verbrechen, ohne Euch zu ihren teuflischen Ursachen äußern zu wollen?«
»Weil das Schlussfolgern von den Wirkungen auf die Ursachen eine so schwierige Sache ist, dass allein Gott der Richter sein kann. Uns Menschen fällt es bereits dermaßen schwer, einen ursächlichen Zusammenhang herzustellen zwischen einer so offenkundigen Wirkung wie etwa dem Brand eines Baumes und dem Blitz, der ihn verbrannte, dass der Versuch, lange Ketten von Ursachen und Wirkungen zu konstruieren, mir ebenso wahnhaft erscheint wie der Versuch, einen Turm zu bauen, der bis zum Himmel reicht.«
»Der Doktor von Aquin«, gab Abbo zu bedenken, »scheute sich nicht, mit der Kraft seiner bloßen Vernunft die Existenz des Allerhöchsten zu beweisen, indem er von einer causa zur anderen zurückging bis zu der durch nichts verursachten causa prima.«
»Wer bin ich«, erwiderte demütig Bruder William, »dass ich dem hochgelahrten Aquinaten widersprechen könnte? Auch wird ja sein Beweis der Existenz Gottes durch so viele andere Zeugnisse unterstützt, dass seine Argumentation sich von alledem nur bestärkt sieht. Gott spricht zu uns im Innersten unserer Seele, wie bereits Augustinus wusste, und Ihr, Abbo, hättet das Lob des Herrn gesungen und die Evidenz seiner Gegenwart anerkannt, auch wenn der große Thomas nicht...« Er unterbrach sich und fügte hinzu: »So denke ich jedenfalls.«
»Oh, gewiss doch«, beeilte der Abt sich zu versichern – und in dieser sehr feinen Weise beendete mein kluger Meister eine scholastische Diskussion, die ihn sichtlich nicht sehr zu reizen vermochte. Dann ergriff er wieder das Wort:
»Kommen wir auf die
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