Vittorio
Anne Rice
Vittorio
Roman
Aus dem Amerikanischen von Barbara Kesper Hoffmann und Campe
Die Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel
»Vittorio the Vampire« im Verlag Alfred A. Knopf, New York 1. Auflage 2002
Copyright © 1999 by Anne O'Brian Rice Für die deutschsprachige Ausgabe
Copyright © 2002 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg www.hoffmann-und-campe.de
Schutzumschlaggestaltung: Büro Hamburg/Simone Leitenberger Satz: Dörlemann Satz, Lemförde
Druck und Bindung: GGP Media, Pößneck Printed in Germany
ISBN 3-455-06265-2
Anne Rice
widmet
dieses Buch
Stan, Christopher, Michele und Howard und
Rosario und Patrice,
Pamela und Elaine
und Niccolo
Vittorio
widmet dieses Buch
den Einwohnern
der Stadt Florenz
1
WER ICH BIN, WARUM ICH SCHREIBE, WAS GESCHEHEN WIRD
Als ich ein kleiner Junge war, hatte ich einen schrecklichen Traum. Ich träumte, dass ich die abgetrennten Köp-fe meiner jüngeren Geschwister in den Armen hielt. Sie rührten sich noch, waren jedoch stumm; ihre Augenlider flatterten, und ihre Wangen waren gerötet; und ich war so von Grauen erfüllt, dass ich genauso stumm war wie sie.
Dieser Traum wurde Wirklichkeit.
Doch um mich oder um sie wird keiner weinen. Sie sind seit fünfhundert Jahren begraben, namenlos, in der Zeit verloren.
Ich bin ein Vampir.
Mein Name ist Vittorio, und ich schreibe dies nun im höchsten Turm der zerfallenen Burg, in der ich einst geboren wurde, auf dem Gipfel eines Berges im nördlich-sten Teil der Toskana, diesem wunderschönen Landstrich in der Mitte Italiens.
Ich bin unbestreitbar ein bemerkenswerter Vampir, sehr mächtig, denn ich existiere schon seit fünfhundert Jahren, seit den glorreichen Zeiten des Cosimo de' Medici, und selbst die Engel würden Ihnen bestätigen, welche Kräfte ich habe, wenn Sie sie zum Sprechen bringen könnten. Aber was das betrifft, wäre ich an Ihrer Stelle vorsichtig.
Ich habe allerdings nicht das Geringste mit diesem Klub merkwürdiger romantischer Vampire zu tun, der in den Südstaaten der Neuen Welt in und um New Orleans be-heimatet ist, diesem »Orden der Redseligen«, der Sie schon mit so vielen Chroniken und Geschichten ergötzt hat.
Ich weiß nichts über diese Helden, die makabre Fakten als literarische Erfindungen tarnen. Ich weiß nichts über ihr verlockendes Paradies in dem Sumpfland Louisianas.
Über jene werden Sie auf den folgenden Seiten nichts erfahren, ich werde sie nicht einmal mehr erwähnen.
Durch sie wurde ich allerdings veranlasst, meine eigene Geschichte niederzuschreiben - die Geschichte, wie ich zum Vampir wurde - und diesen Teil meines Lebens in Buchform sozusagen der ganzen weiten Welt zu präsen-tieren, wo es, durch Zufall oder durch Vorsehung möglicherweise mit ihren erfolgreich veröffentlichten Büchern in Berührung kommen würde.
In den Jahrhunderten, die ich als Vampir verbracht habe, beschränkte ich mich während meines Umherstreifens auf kluges Beobachten und Studien, um nicht die geringste Gefahr einzugehen, Wesen meiner eigenen Art her-auszufordern oder ihnen bekannt oder gar verdächtig zu werden.
Aber hier will ich nicht von meinen Abenteuern sprechen.
Wie ich schon sagte, geht es mir darum, zu schildern, wie ich zum Vampir wurde. Denn ich glaube fest, dass in mir Enthüllungen schlummern, die für Sie Neuland sind.
Wenn mein Buch fertig ist und ich es aus den Händen gegeben habe, werde ich vielleicht Schritte einleiten, die mich irgendwie zu einem Charakter in dem gewaltigen Fortsetzungsroman machen, den die anderen Vampire in San Francisco oder New Orleans begonnen haben. Im Augenblick weiß ich es noch nicht, und es kümmert mich auch noch nicht.
Während ich hier zwischen den überwucherten Steinen der Stätte, an der ich einst als Kind so glücklich war, meine friedlichen Nächte verbringe, dort, wo die dornigen Brombeerranken und die duftenden Eichen- und Kasta-nienwälder die nun eingestürzten, gestaltlosen Mauern fast erdrücken, da fühle ich in mir den Drang, festzuhal-ten, was mir geschah, denn mir scheint, dass ich ein Schicksal erlitt, das sich wesentlich von dem aller anderen Vampire unterscheidet.
Ich lebe übrigens nicht immer hier.
Im Gegenteil, die meiste Zeit verbringe ich in der Stadt, die für mich die Königin aller Städte ist: in Florenz, das ich liebe, seit ich es zum ersten Mal - mit Kinderaugen damals noch - sah; das war in jenen Jahren, als Cosimo der Ältere die mächtige Bank der Medici mit eigener Hand leitete,
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