Die historischen Romane
flüsternd.
»Malachias war der letzte«, antwortete er, »der das Buch in Händen hatte. Wenn er nicht selbst der Mörder ist, könnte es sein, dass er nicht wusste, welche Gefahren es birgt...«
Mehr war im Augenblick nicht zu sagen. Man konnte nur warten. Und so warteten wir, der Abt, der den leeren Platz nicht aus den Augen ließ, und Jorge, der immer wieder hinübertastete.
Am Ende des Gottesdienstes ermahnte der Abt die versammelten Mönche und Novizen, sich gebührend auf die Hohe Messe zur Weihnacht vorzubereiten. Sie sollten darum jetzt nicht auseinandergehen, sondern, dem Brauche entsprechend, die Zeit bis Laudes nutzen, um einige der für jene Gelegenheit vorgesehenen Chorgesänge zu üben, auch um damit die Eintracht der ganzen Gemeinde unter Beweis zu stellen. Eine gute Idee, so schien mir, denn im Chorgesang war jener Verband frommer Männer tatsächlich harmonisch wie ein einziger Leib mit einer einzigen Stimme und, dank jahrelanger Übung, einträchtig wie ein Herz und eine Seele.
Der Abt intonierte das Sederunt principes:
Sederunt principes
et adversus me
loquebantur, iniqui
persecuti sunt me.
Adjuva me, Domine
Deus meus, salvum me
fac propter magnam misericordiam tuam.
Ich fragte mich, ob der Abt dieses Graduale wohl bewusst ausgesucht hatte für diesen Morgen, an welchem die Abgesandten jener Fürsten und Machthaber (die da saßen und gegen uns sprachen, uns verfolgend in ihrer Bosheit) noch unter uns weilten, gleichsam um sie daran zu erinnern, wie unerschütterlich unser Orden seit Jahrhunderten den Verfolgungen durch die Mächtigen standgehalten hatte dank seines besonderen Verhältnisses zu Gott, dem Herrn der Heerscharen. In der Tat weckte der Anfang des Gesanges einen Eindruck von großer Kraft.
Langsam und feierlich begann auf der ersten Silbe se ein mächtiger Chor von Dutzenden und Aberdutzenden tiefer Stimmen, deren gleichbleibender Grundton das Kirchenschiff füllte und sich hoch über unsere Köpfe erhob, wiewohl er aus dem Herzen der Erde zu kommen schien. Auch brach er nicht ab, als andere Stimmen einsetzten, um über diesem tiefen und kontinuierlichen Halteton eine Reihe von Vokalisen und Melismen zu knüpfen, sondern blieb – gleichsam tellurisch – so lange liegen, wie ein geübter Vorsänger braucht, um getragen und mit vielen Kadenzen zwölfmal das Ave Maria zu singen. Und wie befreit durch das Grundvertrauen, das jene beharrlich ausgehaltene Silbe – Allegorie der ewigen Dauer – den Sängern einflößte, errichteten andere Stimmen, insbesondere die der Novizen, auf diesem festen Felsengrunde nun Säulen und Giebel und Zinnen aus liqueszierenden und subpunktierten Neumen. Und während mein Herz vor Wonne erbebte beim raschen Auf und Ab eines Climacus oder Porrectus, eines Torculus oder Salicus, dünkte mich, als wollten mir jene Stimmen bedeuten, dass die Seele (der Singenden wie derer, die ihnen lauschten) dem Überschwang der Gefühle nicht standzuhalten vermag und aufbricht, um Freude, Schmerz, Lobpreis und Liebe auszudrücken im beglückenden Rausch dieser Klangesfülle. Indessen ließ das beharrliche Grollen der chthonischen Stimmen nicht nach, als wollten sie sagen, dass die Feinde, die dem Gottesvolk nachstellen, stets gegenwärtig bleiben. Bis schließlich jenes neptunische Brausen eines einzigen tiefen Haltetons besiegt, oder jedenfalls gebändigt und übertönt wurde durch den hallelujatischen Jubel der Oberstimmen, um sich aufzulösen in einem majestätischen, vollendet reinen Akkord mit abschließendem Resupinus.
Nachdem das sederunt derart ausgesprochen, ja fast mit dumpfer Qual herausgepresst worden war, erklang nun das principes in großer seraphischer Ruhe. Ich fragte mich nicht mehr, wer jene Fürsten sein mochten, die da saßen und gegen mich sprachen als böse Verfolger, denn verschwunden und aufgelöst war das bedrohliche, alptraumhafte Phantom.
Auch andere Phantome, so schien mir, lösten sich auf in diesem Moment, denn als ich jetzt erneut hinübersah zum Platz des Bibliothekars, von dem mich der hehre Gesang eine Zeitlang abgelenkt hatte, erblickte ich die Gestalt des Vermissten zwischen den Sängern, als hätte sie nie gefehlt. Ich schaute zu William und gewahrte eine Spur von Erleichterung in seinen Augen – die gleiche, die ich nun auch drüben in den Augen des Abtes bemerkte. Was Jorge betraf, so hatte er seine tastende Hand, als sie den Leib des Nachbarn berührte, rasch wieder zurückgezogen. Welche Gefühle ihn
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