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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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schöne Hexe auf der Liste der zur Strecke gebrachten Sünder erhöht das Prestige und den Ruhm beider...«
    »Aber kann man denn gar nichts tun, um sie zu retten?« rief ich verzweifelt. »Kann der Abt nicht ein Wort einlegen?«
    »Für wen? Für den Cellerar, einen geständigen Delinquenten? Für einen armen Teufel wie Salvatore? Oder denkst du an das Mädchen?«
    »Und wenn ich’s täte!« begehrte ich auf. »Schließlich ist sie als einzige von den dreien wirklich unschuldig. Ihr wisst, dass sie keine Hexe ist!«
    »Und du glaubst im Ernst, nach allem, was geschehen ist, dass der Abt sein verbliebenes bisschen Prestige für eine Hexe aufs Spiel setzen wird?«
    »Immerhin hat er Ubertin entfliehen lassen!«
    »Ubertin war ein Mönch in seiner Abtei, und gegen ihn lag nichts vor. Und überhaupt, was redest du da für dummes Zeug, Ubertin ist eine bedeutende Persönlichkeit, Bernard hätte ihn nur hinterrücks umbringen können!«
    »So hatte der Cellerar also recht: Bezahlen müssen immer die kleinen Leute! Für alle bezahlen, auch für jene Großen, die zu ihren Gunsten sprechen, auch für Leute wie Ubertin von Casale und Michael von Cesena, durch deren Bußaufrufe sie sich zur Revolte verführen ließen!« Ich war viel zu verzweifelt, um zu bedenken, dass mein Mädchen gar keine Ketzerin gewesen war, die sich durch Ubertins Mystik hatte verführen lassen. Sie war einfach ein Bauernmädchen und musste für etwas bezahlen, mit dem sie nicht das Geringste zu tun hatte!
    »Ja, so ist das wohl, Adson«, sagte William traurig. »Und wenn du wirklich nach einer Spirale der Gerechtigkeit suchst, will ich dir sagen: Eines Tages werden die ganz großen Tiere, der Papst und der Kaiser, um ihren Frieden miteinander zu machen, kaltblütig hinweggehen über die Leiber der kleineren Tiere, die sich in ihren Diensten geschlagen haben, und dann werden auch Michael und Ubertin so behandelt wie jetzt dein Mädchen…«
    Heute weiß ich, dass William damals prophetische Worte sprach oder Einsichten äußerte, die er aus den Prinzipien einer natürlichen Philosophie gewonnen. Damals freilich konnten mich seine Prophezeiungen oder philosophischen Einsichten überhaupt nicht trösten. Ich wusste nur eines: Mein Mädchen würde verbrannt werden! Und ich fühlte mich in gewisser Weise mitverantwortlich, war mir doch so, als büßte sie auf dem Scheiterhaufen auch für die Sünde, die ich mit ihr begangen hatte.
    Fassungslos schluchzte ich auf und rannte heulend in meine Zelle, wo ich die ganze Nacht lang verzweifelt in die Matratze biss, ohnmächtig wimmernd und wortlos, war es mir doch nicht einmal vergönnt, meiner Klage Ausdruck zu geben (wie ich’s als Knabe in Ritter- und Liebesromanen gelesen) durch Anrufung des Namens der Geliebten.
    Von der einzigen irdischen Liebe in meinem Leben kannte ich nicht – und erfuhr ich nie – den Namen.

SECHSTER TAG

 
     
    Sechster Tag
METTE
    Worin die Principes sederunt und Malachias zu Boden stürzt.
     
    F rierend begaben wir uns zur Mette. Es war immer noch neblig in dieser frühen Stunde vor Anbruch des neuen Tages, mir saß die schlaflose Nacht in den Knochen, und als wir den Kreuzgang durchquerten, drang mir die Feuchtigkeit bis ins innerste Mark. Die Kirche war kalt, doch mit einem Seufzer der Erleichterung kniete ich nieder unter dem hohen Gewölbe, geschützt vor den Elementen, getröstet durch die Wärme der anderen Leiber und durch das Gebet.
    Der Psalmengesang hatte gerade begonnen, als William mich auf einen leeren Platz im Chorgestühl hinwies, zwischen Jorge und Pacificus von Tivoli. Es war der Platz des Bibliothekars, der in der Tat stets neben dem Blinden zu sitzen pflegte. Auch sah ich, dass wir nicht die Einzigen waren, die sein Fehlen bemerkt hatten. Auf der einen Seite erhaschte ich einen besorgten Blick des Abtes, der sicher längst wusste, wie unheilschwanger solche Abwesenheiten waren. Auf der anderen Seite bemerkte ich eine ganz ungewöhnliche Unruhe bei Jorge. Sein Gesicht, dessen Ausdruck gemeinhin so undurchschaubar war dank jener weißen, lichtlosen Augen, lag fast gänzlich im Schatten, doch nervös und ruhelos waren seine Hände. Immer wieder tastete er nach dem Platz neben sich, wie um zu prüfen, ob er inzwischen besetzt war, und in regelmäßigen Abständen wiederholte er diese Geste, als hoffte er, dass der Fehlende jeden Augenblick auftauchen werde, nicht ohne das Gegenteil zu befürchten.
    »Wo mag der Bibliothekar sein?« fragte ich William

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