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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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darum habe ich den Kaiser gebeten, dich zum Studium nach Paris zu schicken. Nicht nach Bologna, wo man sich nur mit dem Recht beschäftigt, und ein Bruder Leichtfuß wie du soll seine Nase nicht in die Pandekten stecken, denn mit dem Gesetz darf man nicht lügen. In Paris wirst du Rhetorik studieren und die Dichter lesen. Rhetorik ist die Kunst, auf elegante Weise etwas zu sagen, von dem man nicht sicher weiß, ob es wahr ist, und die Dichter haben die Pflicht, schöne Lügen zu erfinden. Es kann auch nichts schaden, wenn du ein bisschen Theologie studierst, aber ohne ein richtiger Theologe werden zu wollen, denn mit den Dingen des Allmächtigen soll man nicht scherzen. Studiere genug, um hinterher eine gute Figur bei Hofe zu machen, wo du sicherlich ein Ministeriale wirst, das ist der höchste Posten, den ein Bauernsohn anstreben kann, du wirst wie ein Ritter auf gleicher Stufe mit vielen Herren stehen und deinem Adoptivvater treu dienen können. Tu dies alles zu meinem Gedenken, und Jesus vergebe mir, wenn ich ungewollt seine Worte benutzt habe.«
    Dann gab er ein Röcheln von sich und blieb reglos liegen. Baudolino wollte ihm schon die Augen schließen, im Glauben, er habe seinen letzten Seufzer getan, da öffnete Otto noch einmal den Mund und wisperte mit den letzten Atemzügen: »Baudolino, denk an das Reich des Presbyters Johannes. Nur wenn man danach sucht, wird man das Banner der Christenheit über Byzanz und Jerusalem hinaustragen können. Ich habe dich viele Geschichten erfinden hören, die der Kaiser geglaubt hat. Also wenn du keine anderen Nachrichten über jenes Reich hast, erfinde welche. Merk dir, ich bitte dich nicht zu bezeugen, was du für falsch hältst – das wäre Sünde –, sondern falsch zu bezeugen, was du für richtig hältst. Das ist ein gutes Werk, denn es behebt den Mangel an Beweisen für etwas, das zweifellos existiert oder geschehen ist – und zweifellos existiert ein Priesterkönig Johannes jenseits der Länder der Perser und der Armenier, hinter Bakta, Ekbatana, Persepolis, Susa und Arbela, woher die Magier kamen ... Dränge Friedrich nach Osten, denn von dort kommt das Licht, das ihn beleuchten wird als den größten aller Könige ... Zieh den Kaiser aus jenem Sumpf, der sich zwischen Mailand und Rom erstreckt ... er könnte sonst bis zum Tod darin befangen bleiben. Er muss sich fernhalten von einem Reich, in dem auch ein Papst befiehlt. Sonst ist er immer nur zur Hälfte Kaiser. Denk daran, Baudolino ... Der Priester Johannes ... Der Weg nach Osten ...«
    »Aber warum sagt Ihr das zu mir, Meister, und nicht zu Rahewin?«
    »Weil Rahewin keine Phantasie hat, er kann nur berichten, was er gesehen hat, und manchmal nicht einmal das, weil er nicht versteht, was er gesehen hat. Du dagegen kannst dir etwas vorstellen, was du nicht gesehen hast ... Oh, warum wird es auf einmal so dunkel?«
    Baudolino, der ein Lügner war, sagte, er solle sich nicht beunruhigen, es liege daran, dass der Abend komme. Genau zur Mittagsstunde gab Otto ein leises Pfeifen aus der schon rauhen Kehle von sich, und die Augen blieben offen und starr, als betrachte er seinen Priester Johannes auf dem Thron. Baudolino schloss ihm die Augen und vergoss echte Tränen.
     
    Traurig über den Tod seines Lehrers, war Baudolino für einige Monate an den Hof zu Friedrich zurückgekehrt. Zuerst hatte er sich mit dem Gedanken getröstet, dass er dort nicht nur den Kaiser, sondern auch die Kaiserin wiedersehen würde. Dann sah er sie wieder und verfiel in noch größere Traurigkeit. Vergessen wir nicht, dass Baudolino sich zu jener Zeit seinem siebzehnten Lebensjahr näherte, und mochte seine Verliebtheit vorher noch wie die Verwirrung eines Knaben erscheinen, die er selbst kaum verstand, so wurde sie jetzt immer mehr bewusstes Begehren und erlittene Qual.
    Um nicht trübsinnig am Hof zu verkümmern, begleitete er Friedrich regelmäßig ins Feld, und dort wurde er Zeuge von Dingen, die ihm ganz und gar nicht gefielen. Die Mailänder hatten Lodi zum zweiten Mal zerstört, beziehungsweise beim ersten Mal hatten sie es geplündert, aus allen Häusern Vieh, Hafer und Hausrat mitgenommen, dann alle Bewohner aus der Stadt getrieben und ihnen gesagt, wenn sie nicht freiwillig gingen, müssten sie alle über die Klinge springen, Frauen, Alte und Kinder, auch die noch in der Wiege lagen. Die Lodianer hatten nur Hunde und Katzen zurückgelassen und waren zu Fuß im Regen auf die Felder hinausgezogen, auch die Herren, die nun keine

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