Die historischen Romane
mit solcher Grazie tat, dass jede ihrer Bitten sogleich Gehör fand, als wär's ein Befehl. Wollte man noch etwas zu ihrem Lob hinzufügen, so könnte man sagen, sie war geübt im Lesen und Schreiben, gewandt im Musizieren und bezaubernd im Singen. So dass, schloss Baudolino, der Name Beatrix wirklich hervorragend für sie passte.
Für Niketas war es nicht schwer zu begreifen, dass der junge Mann sich auf den ersten Blick in seine fast ebenso junge Stiefmutter verliebt hatte, nur dass er – da er sich zum ersten Mal verliebte – nicht wusste, was ihm da widerfuhr. Es ist ja schon ein blitzartig blendendes, umwerfendes Ereignis, wenn man sich als Bauernsohn zum ersten Mal in ein pickliges Bauernmädchen verliebt, um wie viel mehr also erst, wenn man sich als Bauernsohn zum ersten Mal in eine zwanzigjährige Kaiserin mit milchweißer Haut verliebt!
Baudolino begriff sofort instinktiv, dass das, was er da empfand, eine Art Diebstahl am Eigentum seines Vaters war, weshalb er sich einzureden versuchte, er betrachte seine Stiefmutter aufgrund ihrer Jugend als eine Art Schwester. Aber dann wurde ihm klar, obwohl er nicht viel Moraltheologie studiert hatte, dass es auch nicht erlaubt war, eine Schwester in dieser Weise zu lieben – jedenfalls nicht mit diesem Erschauern und dieser heftigen Leidenschaft, die ihm der Anblick Beatrixens einflößte. Darum senkte er errötend den Kopf, und genau in diesem Augenblick streckte Beatrix, der Friedrich seinen Adoptivsohn Baudolino vorstellte (als einen »sonderbaren und liebenswerten Wildfang der Poebene«, wie er sich ausdrückte), zärtlich ihre Hand aus und streichelte ihm erst über die Wange und dann übers Haar.
Baudolino schwanden beinahe die Sinne, ihm wurde ganz schwarz vor Augen, und die Ohren dröhnten ihm wie beim Läuten der Kirchenglocken zu Ostern. Was ihn wieder zu sich kommen ließ, war die schwere Hand Ottos, der ihm auf den Nacken klopfte und zwischen den Zähnen flüsterte: »Auf die Knie, du Tölpel!« Er besann sich darauf, dass er vor der Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches stand, die auch Königin von Italien war, beugte die Knie, und von diesem Moment an benahm er sich untadelig wie ein perfekter Höfling, nur dass er nachts nicht schlafen konnte und, anstatt über dieses unerklärliche Damaskus-Erlebnis zu jubeln, wegen der unerträglichen Glut dieser unbekannten Leidenschaft weinte.
Niketas betrachtete seinen löwenköpfigen Gesprächspartner, würdigte die Gewähltheit seiner Ausdrücke, seine zurückhaltende Rhetorik in einem fast literarischen Griechisch, und fragte sich, was für einen Menschen er da vor sich hatte, der imstande war, die Sprache der Bauern zu sprechen, wenn er von Dörflern redete, und die der Könige, wenn es um Herrscher ging. Ob er wohl eine Seele hat, fragte er sich, dieser Mensch, der seine Erzählung so zu formen weiß, dass sie verschiedene Seelen ausdrücken kann? Und wenn er verschiedene Seelen hat, durch den Mund welcher von ihnen wird er mir, wenn er spricht, jemals die Wahrheit sagen?
5. Kapitel
Baudolino gibt Friedrich weise Ratschläge
Am nächsten Morgen lag die Stadt fast vollständig unter einer dichten Rauchwolke. Niketas hatte ein wenig Obst gekostet, war unruhig im Turmzimmer umhergegangen und hatte dann Baudolino gebeten, einen der Genueser nach einem gewissen Architas zu schicken, der ihm das Gesicht pflegen sollte.
Seh sich einer das an, dachte Baudolino, hier geht die Stadt in Flammen auf, die Leute werden auf der Straße niedergemetzelt, vor zwei Tagen musste dieser Mann noch fürchten, seine ganze Familie zu verlieren, und jetzt will er, dass ihm jemand eine Gesichtspflege macht. Wie verwöhnt die Männer des Hofes in dieser verdorbenen Stadt doch sind – Friedrich hätte so einen längst hochkant aus dem Fenster geworfen.
Nach einer Weile kam der erwähnte Architas mit einem Korb voll silberner Instrumente und kleiner Gefäße mit den überraschendsten Parfüms. Er war ein Künstler, der einem zuerst das Gesicht zur Entspannung in warme Tücher hüllte, dann daranging, es mit schmutzlösenden Cremes zu bestreichen, es zu reinigen und zu glätten, jede Unreinheit zu beseitigen und schließlich die Runzeln mit Schminke zu füllen, die Augen mit einem leichten Lidschatten zu versehen, die Lippen ein wenig zu röten, die Härchen in den Ohren zu schneiden, um nicht von dem zu reden, was er mit dem Bart- und Haupthaar machte. Niketas ließ alles mit geschlossenen Augen über sich
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