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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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den wahren Glauben nahebringt, denn da er gewiss ein ehrlicher Mann ist, wird er dann nicht umhinkönnen, sich zu bekehren. Sicher ist allerdings, dass du diese Dinge nie begreifen wirst, wenn du dich nicht daranmachst, ein bisschen Theologie zu studieren. Du bist ein heller Junge, Rahewin ist ein guter Lehrer, solange es um Lesen, Schreiben, ein bisschen Rechnen und ein paar Grammatikregeln geht, aber Trivius und Quadrivius sind etwas ganz anderes. Um zur Theologie zu gelangen, müsstest du Dialektik studieren, und das sind Dinge, die du nicht hier in Morimond lernen kannst. Du musst an ein richtiges Studium gehen, an eine Schule, wie es sie nur in großen Städten gibt.«
    »Aber ich will an kein Studium gehen, von dem ich ja nicht mal weiß, was das ist.«
    »Wenn du es erst mal begriffen hast, wirst du sehr gern hingehen, mein Sohn. Schau, es heißt allgemein, dass die menschliche Gesellschaft auf drei Kräften beruht, auf den Kriegern, den Mönchen und den Bauern, und vielleicht ist das bis gestern auch so gewesen. Aber wir leben in einer neuen Zeit, in der die Gelehrten ebenso wichtig zu werden beginnen, die, auch ohne Mönche zu sein, das Recht studieren, die Philosophie, die Bewegungen der Himmelskörper und vielerlei andere Dinge, wobei sie weder ihrem Bischof noch ihrem König ständig über alles Rechenschaft ablegen müssen. Und diese Studia , die jetzt langsam in Bologna oder Paris entstehen, sind Orte, wo das Wissen gepflegt und weitergegeben wird, und Wissen ist eine Form von Macht. Ich war ein Schüler des großen Abaelard, dem Gott gnädig sein möge, denn er hat viel gesündigt, aber er hat auch viel gelitten und gebüßt. Nach seinem Unglück, als er in einem wütenden Akt der Rache entmannt worden war, ist er Mönch und Abt geworden und hat fern der Welt gelebt. Aber auf der Höhe seines Ruhms war er Magister in Paris, verehrt von seinen Studenten und geachtet von den Mächtigen, eben wegen seines Wissens.«
    Baudolino sagte sich, dass er seinen Lehrer Otto niemals verlassen würde, von dem er weiterhin vieles lernte. Doch ehe die Bäume das vierte Mal blühten, seit er ihn kannte, lag Bischof Otto im Sterben, entkräftet von Sumpffieber, Gliederschmerzen, Blutandrang in der Brust und seinem alten Blasensteinleiden. Zahlreiche Ärzte, darunter auch einige Araber und Juden, also die besten, die ein christlicher Kaiser einem Bischof anbieten konnte, hatten seinen geschwächten Körper mit zahllosen Aderlässen gemartert, doch – aus Gründen, die jene Koryphäen der Wissenschaft sich nicht zu erklären vermochten – nachdem sie ihm fast alles Blut abgesaugt hatten, ging es ihm noch schlechter, als wenn sie es ihm gelassen hätten.
    Zuerst hatte er Rahewin an sein Bett gerufen, um ihm die Fortführung seiner Geschichte der Taten Friedrichs anzuvertrauen, wobei er ihm sagte, das sei keine schwere Arbeit, er solle einfach die Fakten berichten und dem Kaiser die jeweils passenden Worte aus den antiken Texten in den Mund legen. Dann rief er Baudolino. »Puer dilectissimus« , sagte er, »ich gehe fort. Man könnte auch sagen, ich kehre zurück, und ich bin nicht sicher, welcher Ausdruck der angemessenere ist, so wie ich auch nicht sicher bin, ob meine Geschichte der beiden Reiche oder meine Chronik der Taten Friedrichs die richtigere ist ...« (Du verstehst, Kyrios Niketas, fügte Baudolino ein, das Leben eines Jungen kann gezeichnet sein vom Bekenntnis eines sterbenden Lehrers, der sich zwischen zwei Wahrheiten nicht mehr entscheiden kann.) »Nicht, dass ich froh bin fortzugehen oder zurückzukehren, aber der Herr will es nun einmal so, und seinen Wunsch in Frage zu stellen hieße riskieren, dass er mich auf der Stelle niederstreckt, daher will ich lieber die kurze Zeit nutzen, die er mir noch lässt. Hör zu. Du weißt, dass ich versucht habe, dem Kaiser die politische Lage der Städte jenseits der Alpen zu erklären. Der Kaiser kann nichts anderes tun, als sie seiner Herrschaft zu unterwerfen, aber man kann ihre Unterwerfung auf verschiedene Art erreichen, und vielleicht findet man einen anderen Weg als den der Belagerung und des Massakers. Versuch also du, der du das Ohr des Kaisers hast und immerhin ein Sohn jenes Landes bist, dein Bestes zu tun, um die Ansprüche unseres Herrn mit denen deiner Städte zu versöhnen, so dass möglichst wenige Menschen sterben und alle am Ende zufrieden sind. Um das zu erreichen, musst du lernen, nach allen Regeln der Kunst zu folgern und zu argumentieren, und

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