Die historischen Romane
jeden Fall ein heiliger Mann zu sein, besonders wenn er zugleich auch Kanzler des Reiches war, und zweitens, wer und was Rainald war, nämlich kaum Bischof und vorwiegend Kanzler, gewiss ein Liebhaber der Poesie, aber mehr noch darauf aus, sich die Talente eines Dichters für seine politischen Ziele nutzbar zu machen, was er dann ja auch tun sollte.
»Also ist der Poet mit deinen Versen berühmt geworden?«
»So ist es. Fast ein Jahr lang schickte er Herrn Rainald mit vor Ehrerbietung überfließenden Briefen die Verse, die ich ihm schrieb, und am Ende bestand Rainald darauf, dass dieses ungewöhnliche Talent auf der Stelle an seinen Hof kam. Der Poet machte sich also auf die Reise, ausgerüstet mit einem schönen Vorrat an Versen, mit dem er mindestens ein Jahr überleben konnte, wenn er sich als gebührend verstopft gebärdete. Es war ein Triumph. Ich habe nie verstanden, wie man stolz auf eine Berühmtheit sein kann, die man als Almosen empfangen hat, aber der Poet war's zufrieden.«
»Und ich verstehe nicht, welche Freude du daran haben konntest, deine Schöpfungen einem anderen zugeschrieben zu sehen. Ist es nicht grässlich, wenn ein Vater die Frucht seiner Lenden anderen als Almosen gibt?«
»Die Bestimmung von Trinkliedern ist es, von Mund zu Mund zu gehen, ihr Autor ist glücklich, wenn er hört, dass sie gesungen werden, und es wäre egoistisch, sie nur vorzeigen zu wollen, um den eigenen Ruhm zu vergrößern.«
»Ich glaube nicht, dass du so bescheiden bist. Du bist glücklich darüber, ein weiteres Mal der Fürst der Lüge gewesen zu sein, und rühmst dich dessen, so wie du hoffst, dass eines Tages jemand deine Liebesbriefe zwischen den Handschriften von Sankt Viktor findet und sie wer weiß wem zuschreibt.«
»Ich habe gar nicht die Absicht, bescheiden zu wirken. Es macht mir Vergnügen, Dinge geschehen zu lassen und der einzige zu sein, der weiß, dass sie mein Werk sind.«
»Dein Fall wird nicht besser, mein Freund«, sagte Niketas. »Ich hatte dir nachsichtig unterstellt, du wolltest der Fürst der Lüge sein, und jetzt gibst du mir zu verstehen, du wärest gerne der Herrgott.«
8. Kapitel
Baudolino im Irdischen Paradies
Baudolino studierte in Paris, aber er blieb auf dem Laufenden über die Entwicklung in Italien und Deutschland. Rahewin hatte dem Wunsche Ottos gehorchend die Gesta Friderici fortgesetzt, doch als er ans Ende des vierten Buches gelangt war, hatte er aufgehört, da es ihm blasphemisch erschien, die Zahl der Evangelien zu übertrumpfen. Er hatte den Hof verlassen, zufrieden mit der erfüllten Pflicht, und langweilte sich nun in einem bayerischen Kloster. Als Baudolino ihm schrieb, dass er die Bücher der unerschöpflichen Bibliothek von Sankt Viktor in Reichweite habe, bat er ihn, ihm doch ein paar seltene Traktate zu nennen, die sein Wissen bereichern könnten.
Baudolino, der Ottos Meinung über die geringe Phantasie des armen Kanonikus teilte, hielt es für sinnvoll, sie ein wenig zu nähren, und nannte ihm nicht nur einige Titel von Codizes, die er gesehen hatte, sondern auch frei erfundene wie etwa einen Tractatus de optimitate triparum des Doctor Venerabilis Beda, eine Ars honeste petandi , ein De modo cacandi , ein De castramentandis crinibus und ein De patria diabolorum . Lauter Werke, die das Erstaunen und die Neugier Rahewins erregten, so dass er sich beeilte, Abschriften dieser unbekannten Schätze der Wissenschaft zu erbitten. Baudolino hätte ihm diesen Dienst auch gerne erwiesen, gleichsam als Wiedergutmachung dafür, dass er einst jenes Pergament aus Herrn Ottos Besitz entwendet und abgeschabt hatte, aber er wusste beim besten Willen nicht, was er abschreiben sollte, und so musste er sich in die Ausrede flüchten, besagte Werke befänden sich zwar in der Abtei von Sankt Viktor, stünden aber im Geruch der Häresie und würden daher niemandem gezeigt.
»Später habe ich dann erfahren«, sagte Baudolino zu Niketas, »dass Rahewin an einen ihm bekannten Pariser Gelehrten geschrieben und ihn gebeten hatte, jene Handschriften von den Mönchen in Sankt Viktor zu erbitten, die natürlich keine Spur davon fanden und ihren Bibliothekar der Pflichtvergessenheit ziehen, woraufhin der Ärmste hoch und heilig schwor, sie noch niemals gesehen zu haben. Ich stelle mir vor, dass schließlich irgendein Kanonikus, um die Sache in Ordnung zu bringen, die betreffenden Werke tatsächlich geschrieben hat, und ich hoffe, dass man sie eines Tages findet.«
Unterdessen
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