Die historischen Romane
Händen eine Art Mühlstein auf dem Kopf hält, einen Schlussstein, vielleicht auch ein großes Käserad, wer kann das wissen, und es scheint, als ob er darunter zusammenbricht, weil er das Ding kaum noch halten kann. Ich hab mir gesagt, so eine Figur sollte sicherlich was bedeuten, auch wenn ich keine Ahnung habe, was sie bedeutet, aber du weißt ja, wie das ist, du machst eine Figur, und dann erfinden die anderen eine Bedeutung für sie, und dir kann's recht sein. Tja, und da hab ich mir gesagt, was für ein schöner Zufall, dies könnte die Statue von Gagliaudo sein, du baust sie über dem Portal oder an einer Seitenwand der Kathedrale ein, wie eine kleine Säule, der dieser Stein auf dem Kopf als Kapitell dient, und dann ist es der arme Alte, der das ganze Gewicht der Belagerung trägt. Ich hab sie mit nach Hause genommen und in meinen Heuschober gestellt, und als ich den anderen davon erzählte, fanden alle, das sei wirklich eine schöne Idee. Dann kam diese Geschichte dazwischen, dass wer ein guter Christ war nach Jerusalem zog, und da bin auch ich mitgegangen, das schien ja damals wer weiß was Tolles zu sein. Na ja, vorbei und erledigt. Jetzt gehe ich wieder nach Hause, und dann werden wir ja sehen, wie sie mich feiern werden, unsere Altersgenossen, soweit sie noch auf dieser Welt sind, und für die Jüngeren werde ich der sein, der mit dem Kaiser nach Jerusalem gezogen ist und abends am Feuer mehr zu erzählen hat als der Meister Vergil, pass auf, womöglich wählen sie mich noch, bevor ich sterbe, zum Konsul ... Ich komme also nach Hause, gehe ohne ein Wort zu sagen in den Heuschober, finde die Statue, mache irgendwie ein Loch in das Ding, das sie auf dem Kopf trägt, und tue den Gradal rein. Dann schmiere ich Mörtel drüber, lege Steinsplitter drauf, dass man nicht mal mehr einen Spalt sieht, und bringe sie zur Kathedrale. Wir stellen sie an eine passende Stelle und mauern sie fest, und dann steht sie da per omnia saecula saeculorum , und niemand holt sie mehr runter, auch nicht, um nachzusehen, was dein Vater da auf der Rübe trägt. Wir sind eine junge Stadt und haben nicht allzu viele Grillen im Kopf, aber irgendein Segen vom Himmel kann nie schaden. Ich werde sterben, meine Kinder werden sterben, und der Gradal wird immer da sein, um die Stadt zu beschützen, ohne dass jemand es weiß, es genügt, dass der Herrgott es weiß. Was hältst du davon?«
»Kyrios Niketas, dies war das richtige Ende für die Schale, auch weil ich, obwohl ich jahrelang vorgab, es vergessen zu haben, als einziger wusste, woher sie kam. Nach dem, was ich gerade getan hatte, wusste ich selber nicht mehr, wozu ich eigentlich auf der Welt war, ich hatte nie etwas wirklich Gutes zustande gebracht. Mit diesem Gradal in der Hand würde ich weitere Dummheiten machen. Er hatte recht, der gute Boidi. Ich wäre gern mitgekommen nach Alexandria, aber was sollte ich dort, umgeben von tausend Erinnerungen an Colandrina und jede Nacht von Hypatia träumend? So dankte ich dem Boidi für seine schöne Idee und wickelte den Gradal wieder in den Lappen, in dem ich ihn hergebracht hatte, aber ohne das Reliquiar. Wenn du auf Reisen bist und triffst womöglich auf Räuber, sagte ich ihm, dann würden sie dir ein scheinbar goldenes Reliquiar gleich wegnehmen, während sie eine schlichte Holzschale nicht mal anrühren. Geh mit Gott, Boidi, möge er dir bei deinem Vorhaben helfen. Lass mich hier, ich muss eine Weile allein bleiben. – So ging auch er. Ich schaute mich um, und da fiel mir Zosimos ein. Er war ;nicht mehr da. Wann er sich davongemacht hatte, weiß ich nicht, er hatte wohl gehört, dass einer den anderen umbringen wollte, und inzwischen hatte ihn das Leben gelehrt, jeden Wirrwarr zu meiden. Tastend hatte er, der jene Gänge ja bestens kannte, sich davongemacht, während wir auf ganz anderes achteten. Er hatte es wahrhaft bunt getrieben, aber er war dafür bestraft worden. Soll er weiter in den Straßen betteln, und möge der Herr ihm gnädig sein. Tja, Kyrios Niketas, so bin ich also zurückgegangen durch meine Mumiengalerie, bin über die Leiche des Poeten gestiegen und schließlich nahe am Hippodrom wieder ans Licht des Brandes gekommen. Was mir gleich darauf passiert ist, habe ich dir schon erzählt, und bald danach bin ich dir begegnet.«
39. Kapitel
Baudolino als Säulenheiliger
Niketas schwieg. Auch Baudolino schwieg und hielt die Hände offen im Schoß, als wollte er sagen: »Das war's.«
»Da ist etwas in deiner
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