Die historischen Romane
Geschichte«, sagte Niketas nach einer Weile, »was mich noch nicht überzeugt. Der Poet hatte phantasiereiche Anklagen gegen deine Gefährten vorgebracht, als hätte jeder von ihnen Friedrich getötet, und dann hat nichts davon gestimmt. Du hast geglaubt, die Vorgänge in jener Nacht rekonstruiert zu haben, aber wenn du mir alles erzählt hast, dann hat der Poet nie gesagt, dass es tatsächlich so gewesen war.«
»Er hat mich umzubringen versucht!«
»Er war von Sinnen, das ist klar. Er wollte den Gradal um jeden Preis haben, und um ihn zu kriegen, hatte er sich in den Kopf gesetzt, dass der, der ihn hatte, schuldig war. Bei dir konnte er nur denken, dass du, wenn du ihn hattest, ihn vor ihm verborgen hattest, und das hat ihm genügt, über deine Leiche zu gehen, um dir diese Schale abzunehmen. Aber er hat nie gesagt, dass er der Mörder Friedrichs war.«
»Und wer war es dann?«
»Ihr habt fünfzehn Jahre lang gedacht, dass Friedrich durch einen Zufall ums Leben gekommen sei ...«
»Wir haben uns darauf versteift, das zu denken, um uns nicht gegenseitig zu verdächtigen. Außerdem gab es ja das Phantom von Zosimos, mit dem hatten wir einen Schuldigen.«
»Mag sein. Aber glaub mir, ich habe in den kaiserlichen Palästen viele Verbrechen gesehen. Auch wenn unsere Kaiser sich immer damit ergötzten, ausländischen Besuchern wunderbare Maschinen und Automaten vorzuführen, habe ich doch nie gehört, dass jemand diese Maschinen zum Töten benutzte. Hör zu, du wirst dich erinnern, als du das erste Mal auf Ardzrouni zu sprechen kamst, habe ich dir gesagt, dass ich ihn in Konstantinopel kennengelernt hatte und dass einer meiner Freunde aus Selymbria ein- oder zweimal auf seiner Burg gewesen war. Dieser Freund heißt Paphnutios, er ist ein Mann, der vieles über Ardzrounis technische Hexereien weiß, weil er selber ganz ähnliche Maschinen für die Kaiserpaläste konstruiert hat. Und er weiß auch sehr gut, wo diese Hexereien ihre Grenzen haben, denn einmal, zur Zeit von Andronikos, hatte er dem Kaiser einen Automaten versprochen, der sich im Kreis drehen und eine Standarte schwenken würde, sobald der Kaiser in die Hände klatschte. Er baute den Automaten, Andronikos wollte ihn während eines Festessens mit ausländischen Gesandten vorführen und klatschte in die Hände, der Automat rührte sich nicht, und Paphnutios wurden die Augen ausgestochen. Ich werde ihn fragen, ob er Lust hat, uns besuchen zu kommen. Hier in Selymbria hat man ja als Verbannter nicht viel Abwechslung.«
Paphnutios kam, geführt von einem Knaben. Trotz seines Unglücks und seines Alters war er ein wacher und scharfsinniger Mann. Er unterhielt sich mit Niketas, den er lange nicht gesprochen hatte, und fragte, womit er Baudolino dienlich sein könne.
Baudolino erzählte ihm die Geschichte, anfangs summarisch, dann detaillierter, vom Markt in Kalliupolis bis zum Tode Friedrichs. Er konnte nicht vermeiden, Ardzrouni zu erwähnen, aber er ließ die Identität seines Adoptivvaters im dunkeln und sagte, er sei ein flämischer Graf gewesen, den er sehr geliebt habe. Er ließ auch den Gradal unerwähnt und sprach statt dessen von einem mit Edelsteinen besetzten Kelch, der dem Getöteten sehr viel bedeutet habe und um den ihn sicher viele beneidet hätten. Während Baudolino erzählte, unterbrach ihn Paphnutios immer wieder. »Du bist ein Franke, nicht wahr?« sagte er etwa und erklärte dann, dass seine Art, bestimmte griechische Wörter auszusprechen, typisch für die Leute aus der Provence sei. Oder er fragte: »Warum fasst du dir immer an die Narbe auf deiner Wange, während du sprichst?« Und als Baudolino schon glaubte, er täusche seine Blindheit nur vor, erklärte er ihm, dass seine Stimme manchmal ein wenig dumpfer klinge, als ob er sich die Hand vor den Mund hielte. Würde er sich jedoch, wie es viele täten, über den Bart streichen, so würde er die Hand nicht vor den Mund halten. Also müsse er sich an die Wange fassen, und wenn einer sich an die Wange fasse, tue er das entweder, weil er Zahnweh, oder weil er einen Pickel oder eine Narbe auf der Wange habe. Da Baudolino jedoch ein Schwert trage, sei ihm die Hypothese der Narbe als die vernünftigste vorgekommen.
Schließlich erzählte Baudolino alles, und Paphnutios sagte: »Und jetzt möchtest du gerne wissen, was wirklich in jenem geschlossenen Zimmer des Kaisers Friedrich geschehen ist.«
»Woher weißt du, dass ich von Friedrich gesprochen habe?«
»Nun, alle wissen doch, dass
Weitere Kostenlose Bücher