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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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immer wieder mal jemand Frieden schloss –, der hatte gelernt, hartherzig zu sein.

 
    4
    DEMONSTRIERTE BEFESTIGUNG
     
    W arum beschwört Roberto die Erinnerung an Casale herauf, um seine ersten Tage auf dem Schiff zu beschreiben? Gewiss, da ist der Zeitgeschmack an der Ähnlichkeit, Belagerung dort, Belagerung hier, aber von einem Menschen seines Jahrhunderts erwarten wir mehr. Wenn schon, dann mussten ihn an der Ähnlichkeit die Unterschiede faszinieren, aus denen sich so pointierte Gegensätze gewinnen ließen: Nach Casale war er aus freien Stücken gekommen, damit die anderen nicht hineinkamen, auf die Daphne war er geworfen worden und wünschte sich nichts sehnlicher, als sie zu verlassen. Aber ich würde eher sagen, dass er, während er eine Geschichte im und von Halbschatten erlebte, sich zurückbesann auf ein Geschehen voll hochgespannter Aktionen, die er im vollen Sonnenlicht miterlebt hatte, so dass die gleißenden Tage der Belagerung, die seine Erinnerung vor ihm wiedererstehen ließ, ihn für sein bleiches Vagabundieren entschädigten. Und vielleicht war da noch etwas anderes. Im ersten Teil seines Lebens hatte Roberto nur zwei Perioden gehabt, in denen er etwas gelernt hatte über die Welt und die verschiedenen Arten, in ihr zu leben – ich meine die wenigen Monate in Casale und die letzten Jahre in Paris; nun durchlebte er seine dritte Bildungsphase, vielleicht die letzte, an deren Ende die Reife mit der Auflösung zusammengefallen sein würde, und er versuchte, sich die geheime Botschaft dieser Phase zu erschließen, indem er die Vergangenheit als eine Figur der Gegenwart ansah.
     
    Casale war zu Beginn eine Geschichte von Ausfällen gewesen. Roberto erzählt sie seiner Signora, indem er sie überhöht, als wollte er damit sagen, dass er – unfähig, wie er damals gewesen war, die Festung seines jungfräulichen Schnees zu bezwingen, verstört, aber nicht zerstört von der Flamme seiner zwei Sonnen – unter der Flamme einer anderen Sonne doch immerhin fähig gewesen war, sich denen entgegenzustellen, die seine monferrinische Zitadelle einer Belagerung unterzogen.
     
    Am Morgen nach ihrer Ankunft hatte Toiras einige unbegleitete Offiziere losgeschickt, die mit geschulterter Büchse herausfinden sollten, was die Neapolitaner auf dem am Vortag eroberten Hügel installierten. Sie hatten sich zu weit vorgewagt, es war zu einem Schusswechsel gekommen, und ein junger Leutnant des Regiments Pompadour war getötet worden. Seine Kameraden hatten ihn in die Stadt zurückgebracht, und so hatte Roberto den ersten getöteten Toten seines Lebens gesehen. Toiras beschloss, die Häuser besetzen zu lassen, von denen er am Vortag gesprochen hatte.
    Von den Bastionen aus konnte man das Vorgehen der zehn losgeschickten Musketiere gut verfolgen: An einem bestimmten Punkt teilten sie sich, um das erste der Häuser in die Zange zu nehmen. Auf den Stadtmauern ging eine Kanonade los, die über ihre Köpfe hinweg das Dach des Hauses abdeckte: Wie aufgescheuchte Insekten kamen einige Spanier heraus und liefen davon. Die Musketiere ließen sie laufen, besetzten das Haus, verbarrikadierten sich und begannen, den Hügel unter Beschuss zu nehmen.
    Es bot sich an, die Operation bei anderen Häusern zu wiederholen: Auch von den Bastionen aus konnte man jetzt sehen, dass die Neapolitaner anfingen, Schützengräben auszuheben und sie mit Faschinen und Schanzkörben zu umgeben. Aber diese Gräben legten sich nicht um die Hügel, sondern wuchsen in die Ebene hinaus. Roberto lernte, dass es immer so anfing, wenn Minengänge gegraben wurden. Waren diese Gänge erst einmal an der Stadtmauer angelangt, würden sie auf dem letzten Stück mit Pulverfässern gefüllt werden. Es galt also zu verhindern, dass die Grabungen einen Punkt erreichten, von dem aus sie unterirdisch fortgesetzt werden konnten, sonst würden die Feinde von jenem Punkt an in Deckung weitergraben können. Bei dem ganzen Spiel ging es darum, von außen und im Freien den Bau von Gängen zu verhindern und selber Gegengänge zu graben, bis die Entsatzarmee eintraf – vorausgesetzt, dass die Lebensmittel und Munitionsvorräte so lange reichten. Bei einer Belagerung gibt es nichts anderes zu tun, nichts als die anderen zu behindern und abzuwarten.
    Am nächsten Morgen kam dann wie versprochen der Sturm auf das Fort. Roberto fand sich, die Büchse im Arm, inmitten eines undisziplinierten Haufens von Leuten, die keine Lust gehabt hatten, in Lù, in Cuccaro oder in Odalengo zu

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