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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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(in den Jahren davor musste er sich etwas rar gemacht haben, aber er kam wieder regelmäßig, als er Lorenza Pellegrini kennengelernt hatte). Immer noch derselbe, vielleicht jetzt ein bisschen graumeliert und etwas magerer, aber nicht viel.
    Es war eine herzliche Begegnung, in den Grenzen seiner Mitteilsamkeit. Ein paar Bemerkungen über die alten Zeiten, coole Zurückhaltung über unsere Komplizenschaft bei jenem letzten Vorfall und ihre brieflichen Nachzügler. Der Kommissar De Angelis hatte sich nicht wieder gemeldet. Fall erledigt, wie's aussah.
    Ich erzählte ihm von meiner Arbeit, und er schien interessiert. »Im Grunde das, was ich gerne täte, den Sam Spade der Kultur spielen, zwanzig Dollar pro Tag plus Spesen.«
    »Aber bei mir spazieren keine geheimnisvollen faszinierenden Frauen herein, und keiner kommt, um mir vom Malteser Falken zu erzählen«, sagte ich.
    »Das weiß man nie. Macht Ihnen die Arbeit Spaß?«
    »Spaß?« fragte ich zurück und zitierte ihn: »Ich amüsiere mich prächtig. Ich glaube, das ist das einzige, was ich wirklich gut kann.«
    »Good for you« , antwortete er.
    Wir sahen uns öfter wieder, ich erzählte ihm von meinen brasilianischen Erlebnissen, aber ich fand ihn immer ein wenig zerstreut, mehr als gewöhnlich. Wenn Lorenza Pellegrini nicht da war, hielt er den Blick auf die Tür geheftet, wenn sie da war, ließ er ihn nervös im Lokal umherschweifen und verfolgte ihre Bewegungen. Eines Abends, es war schon kurz bevor Pilade zumachte, sagte er mir, woandershin blickend: »Hören Sie, es könnte sein, dass wir Sie brauchen, nicht bloß für gelegentliche Gutachten. Könnten Sie ein bisschen Zeit für uns erübrigen, sagen wir einen Nachmittag pro Woche?«
    »Mal sehen. Um was geht's denn?«
    »Eine Stahlfirma hat bei uns ein Buch über Metalle bestellt. So einen Prachtband, bei dem es mehr auf die Bilder als auf den Text ankommt. Populär, aber seriös. Sie wissen schon, was ich meine: die Metalle in der Geschichte der Menschheit, von der Eisenzeit bis zu den Legierungen für Raumschiffe. Wir brauchen jemanden, der sich in den Bibliotheken und Archiven nach guten Illustrationen umsieht, nach alten Miniaturen und barocken Stichen über, was weiß ich, Schmelzverfahren oder den Blitzableiter.«
    »Na gut, ich komme morgen bei Ihnen vorbei.«
    In diesem Augenblick trat Lorenza Pellegrini zu ihm.
    »Bringst du mich nach Hause?«
    »Wieso ich heute?« fragte Belbo.
    »Weil du der Mann meines Lebens bist.«
    Er errötete, wie nur er erröten konnte, und schaute noch mehr woandershin. »Wir haben einen Zeugen«, sagte er zu ihr, und zu mir: »Ich bin der Mann ihres Lebens. Lorenza.«
    »Hallo.«
    »Hallo.«
    Er stand auf und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
    »Was hat das damit zu tun?« sagte sie. »Ich hab dich gefragt, ob du mich im Wagen nach Hause fährst.«
    »Ach so«, sagte er. »Tschuldigen Sie, Casaubon, ich muss den Taxifahrer spielen, für die Frau des Lebens von werweiß wem.«
    »Blödmann«, sagte sie zärtlich und küsste ihn auf die Wange.

 
    36
     
    Erlaubt mir einstweilen, meinem gegenwärtigen
    oder künftigen Leser einen Rat zu geben, so er
    tatsächlich Melancholiker ist: er sollte die Symptome
    oder Prognosen im folgenden Teil lieber
    nicht lesen, damit er sich nicht beunruhigt und am
    Ende mehr Schaden als Nutzen daraus zieht, indem
    er das Gelesene auf sich selber bezieht, wie es
    die meisten Melancholiker tun.
     
    Robert Burton, Anatomy of Melancholy ,
    Oxford 1621, Einführung
     
    Es lag auf der Hand, dass Belbo irgendwie mit Lorenza Pellegrini liiert war. Ich wusste nur nicht, wie intensiv und seit wann. Auch die files von Abulafia haben mir nicht viel weitergeholfen.
    So ist beispielsweise der Text über das Abendessen mit Doktor Wagner undatiert. Den Doktor Wagner hatte Belbo schon vor meiner Abreise nach Brasilien gekannt, und er sollte mit ihm auch nach dem Beginn meiner Arbeit für Garamond noch in Verbindung stehen, so dass am Ende auch ich mit ihm in Berührung kam. Folglich konnte das fatale Essen vor oder nach jenem Abend gewesen sein, an den ich mich erinnere. Wenn es vorher gewesen war, begreife ich Belbos Verlegenheit, seine gefasste Verzweiflung.
    Der Doktor Wagner – ein Wiener, der seit Jahren in Paris praktizierte, daher die Aussprache »Wagnère« bei denen, die Vertrautheit mit ihm bekunden wollten – wurde seit etwa zehn Jahren regelmäßig von zwei revolutionären Gruppen der unmittelbaren Nachachtundsechzigerzeit nach Mailand

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