Die historischen Romane
Lorenza Pellegrini heftete. Bei ihrem Anblick begriff ich undeutlich, was er klarer gesehen hatte und was ich dann später in seinen files lesen sollte. Lorenza wird nicht namentlich genannt, aber es ist evident, dass sie gemeint war. Nur sie flipperte so.
Filename: Flipper
Flipper spielt man nicht nur mit den Händen, sondern auch mit dem Schambein. Beim Flippern ist das Problem nicht, die Kugel rechtzeitig aufzuhalten, bevor sie im Orkus verschwindet, auch nicht, sie mit dem Ungestüm eines Mittelverteidigers wieder ins Feld zu schießen, sondern sie möglichst lange im oberen Teil zu halten, wo die blinkenden Ziele am dichtesten sind, so dass sie von einem zum andern springt und wie verrückt hin und her zuckt, aber aus eigenem Willen. Und das erreicht man nicht, indem man der Kugel Stöße versetzt, sondern indem man Vibrationen auf das Gehäuse überträgt, aber sanft, so dass es der Flipper nicht merkt und nicht ins Kippen gerät. Das schafft man nur mit dem Schambein, beziehungsweise mit einem genau kalkulierten Einsatz der Hüften, so dass das Schambein mehr gleitet als stößt und man immer diesseits des Orgasmus bleibt. Und mehr als das Schambein, wenn man die ;Hüften natürlich bewegt, sind es die Pobacken, die den Stoß nach vorn weitergeben, aber mit Anmut, so dass der Stoß, wenn er beim Schambein ankommt, bereits gedämpft ist, wie in der Homöopathie, wo bekanntlich die Wirkung des Medikaments umso stärker wird, je länger man eine Lösung schüttelt und je mehr die Substanz sich im Wasser auflöst, das man langsam hinzufügt, bis sie fast ganz verschwunden ist. Genauso überträgt sich vom Schambein ein infinitesimaler Strom auf das Gehäuse, und der Flipper gehorcht, ohne neurotisch zu werden, und die Kugel rollt wider die Natur, wider die Trägheit, wider die Schwerkraft, wider die Gesetze der Dynamik, wider die Schläue des Konstrukteurs, der sie ungehorsam wollte, und durchtränkt sich mit vis movendi und bleibt im Spiel für memorable und immemorable Zeiten. Aber dazu bedarf es einer weiblichen Scham, die keine Schwellkörper zwischen Hüftbein und Gehäuse einschiebt, und es darf keine erigierbare Materie dazwischenkommen, sondern nur Haut und Nerven und Knochen, eingezwängt in ein Paar Jeans, und man braucht einen sublimierten Furor eroticus, eine maliziöse Frigidität, eine uneigennützige Anpassungsfähigkeit an die Sensibilität des Partners, eine Lust, sein Verlangen zu schüren, ohne am Übermaß des eigenen zu leiden: die Amazone muss den Flipper zur Raserei bringen und im voraus genießen, dass sie ihn dann verlassen wird.
Ich glaube, Belbo hatte sich in dem Moment in Lorenza Pellegrini verliebt, als er spürte, dass sie imstande war, ihm ein unerreichbares Glück zu versprechen. Aber ich glaube auch, dass er durch sie anfing, den erotischen Charakter der Automatenwelten zu entdecken, die Maschine als Metapher des kosmischen Leibes und das mechanische Spiel als talismanhafte Beschwörung. Er war schon dabei, sich an Abulafia zu berauschen, und vielleicht war er schon in den Geisteszustand des Hermes-Projekts eingetreten. Bestimmt hatte er schon das Pendel gesehen. Lorenza Pellegrini, ich weiß nicht, durch welche Kurzschlussverbindung, versprach ihm das Pendel.
In der ersten Zeit hatte ich Schwierigkeiten, mich wieder an Pilade zu gewöhnen. Allmählich, nicht jeden Abend, entdeckte ich dann im Dschungel der fremden Gesichter die vertrauten der Überlebenden wieder, wenn auch benebelt von der Anstrengung des Wiedererkennens: einer war jetzt Texter in einer Werbeagentur, ein anderer Steuerberater, ein dritter verkaufte zwar immer noch Bücher auf Raten, aber wenn es früher die Werke von Che waren, bot er jetzt Kräuterkunde, Buddhismus und Astrologie feil. Ich sah sie wieder, die alten Genossen, ein bisschen lispelnd, ein paar graue Strähnen im Haar, in der Hand ein Glas Whisky, und mir schien, als wär's noch immer derselbe Drink wie vor zehn Jahren, an dem sie ganz langsam genippt hatten, ein Tröpfchen pro Semester.
»Was treibst du denn so, warum lässt du dich nie mehr bei uns blicken?« fragte mich einer von ihnen.
»Wer seid denn jetzt ihr ?«
Er sah mich an, als wäre ich hundert Jahre weg gewesen. »Na, ich meine doch das Kulturreferat, hier in der Stadtverwaltung.«
Ich hatte zu viele Takte ausgesetzt.
Ich beschloss, mir einen Beruf zu erfinden. Mir war aufgefallen, dass ich viele Dinge wusste, die alle zusammenhanglos
Weitere Kostenlose Bücher