Wir neuen Großvaeter
Die Zeiten von Opa und Oma sind vorbei
Das Verhältnis zwischen Alt und Jung war noch nie so innig wie im 21. Jahrhundert
Das Kind hatte uns das Leben gelehrt.
JEAN-LUC GODARD
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Weil die Menschen immer älter werden, ist die gemeinsame Lebenszeit von GroÃeltern und ihren Enkeln so lang wie nie zuvor. Noch nie gab es so viele Drei-Generationen-Familien wie heute, und noch nie hatten sich Enkel und GroÃeltern so viel zu sagen. Die ARD-Börsenexpertin Anja Kohl (*1970) sieht als ihr Vorbild das »tapfere Schneiderlein«, und meint dabei nicht die Figur aus dem Märchen der Gebrüder Grimm, sondern ihren GroÃvater. Dieser sei ein tapferes Schneiderlein gewesen, wie so viele Menschen nach dem Krieg im Kreis Miltenberg. Er habe sich nie unterkriegen lassen, sechs Tage pro Woche gearbeitet und immer wieder gesagt, welches Glück es sei, ein Schneider zu sein.
Auf eine besonders schöne Weise lässt sich auch das GroÃvater-Dasein des 63 Jahre alten Rudi Weisheit schildern: In zwölf Metern Höhe führte der Chef der berühmten Hochseiltruppe »Gebrüder Weisheit« seine sieben Jahre alte Enkelin Johanna ohne ein schützendes Netz über die Stahltrosse. Mit
dem Auftritt beim Zirkusfestival von Monte Carlo über den Köpfen des Publikums beendete der Artistenchef seine Karriere, die er im Alter von fünf Jahren begonnen hatte. Jetzt war es an den Kindern und Enkeln, die 110 Jahre währende Familientradition der aus Gotha stammenden Truppe fortzuführen. Bald wird Johanna ohne die schützende Hand des GroÃvaters auf dem Seil balancieren. Doch unten in der Manege wird der alte Herr Weisheit â nomen est omen! â stehen und das Kind mit seinen guten Gedanken begleiten.
Für dieses Buch habe ich einige meiner Altersgenossen nach ihren GroÃvätern befragt. Die meisten mussten passen. Frank Elstners GroÃväter starben vor seiner Geburt. Roger Willemsen bekennt in einem Beitrag für Elke Heidenreichs Buch Ein Traum von Musik : »Von meinen GroÃeltern sind drei erschossen worden.«
Viele der heutigen GroÃväter haben eine schlimme Vergangenheit. Sie waren noch Kinder, als die Schrecken des Krieges sie ereilten, sind aufgewachsen inmitten von Flucht, Vertreibung, Bombennächten, Hunger und Tod. Das Elend des Krieges hat eine ganze Generation und in vielen Fällen auch deren Kinder geprägt.
GroÃeltern haben viel zu erzählen,
man sollte sie nur lassen.
Wir heutigen Alten leben fast doppelt so lange wie unsere Vorfahren vor noch hundert Jahren. Und wir sind die Letzten, die mit den bürgerlichen Wertvorstellungen unserer eigenen GroÃeltern aufgewachsen sind: Ehrlichkeit, Anstand, Würde, FleiÃ, Autorität, Sparsamkeit. Die Weltbilder unserer Kindheit sind von denen unserer Enkel um Lichtjahre entfernt. Meine Schulkameraden berichteten mir oft, dass sie Hunger leiden
mussten, zerfetzte Kleidung trugen und arm waren wie die Kirchenmäuse. Ich erinnere mich, wie in dem kleinen Dorf in der Altmark am Abend oft der Strom abgeschaltet wurde und wir die Tür zum gusseisernen Herd öffneten, um ein wenig Licht und Wärme zu bekommen.
Dafür geht es jetzt den meisten von uns richtig gut. Wir fliegen zum Golfturnier nach Andalusien und gondeln mit dem Kreuzfahrtschiff auf dem Amazonas. Und was das Schönste ist: Das Verhältnis zwischen Alt und Jung war noch nie so innig wie im 21. Jahrhundert.
Das Leben unserer Kindeskinder prägt
unser Dasein â und umgekehrt.
Die Zeiten von »Opa« und »Oma« sind vorbei. In meinem ersten Lesebuch trug Oma einen grauen Dutt und eine Nickelbrille, Opa hatte einen Bart, schmauchte seine Pfeife und hielt sich an einem Spaten fest. Im Garten mümmelten Hund und Katze gemütlich vor sich hin.
Oft dienten »Opa« und »Oma« auch als Schimpfnamen, die von jungen Leuten älteren Menschen hinterhergerufen wurden. Inzwischen haben die meisten unserer Enkel eine andere Art von GroÃeltern bekommen, die hilfsbereiter und toleranter sind als früher, eigenständiger und selbstbewusster. Vor allem interessieren sie sich mehr für die Belange ihrer Enkel und erzählen nicht immer nur die alten Geschichten, in denen früher alles besser war. Opa ist plötzlich »cool« â I love Opa.
Manche GroÃväter beklagen sich, dass ihnen trotz aller Zuneigung ihre Enkel manchmal ganz schön zusetzen. Dann mahne ich zur
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