Die Hitlers: Die unbekannte Familie des Führers
Die Mutter heiratete den 50-jährigen Johann Georg Hiedler, einen herumziehenden Müllergesellen. War es Geldnot oder die Ablehnung des Stiefvaters – jedenfalls schickte Maria Anna ihren Alois zum Bruder des Ehemanns, einen wohlhabenden Landwirt namens Johann Nepomuk Hüttler, der nur wenige Kilometer entfernt in Spital wohnte. Wie sich zeigte, sollte der Bub dort nun ein neues Heim finden. Schon bald wandelte sich das Provisorium in ein Ersatz-Elternhaus, und als Alois zehn Jahre alt war, starb seine Mutter. Nepomuk kümmerte sich um Alois wie um einen Sohn, sorgte für seinen Lebensunterhalt, schickte ihn zur Schule und ermöglichte ihm eine Lehre bei einem Schuhmacher in Wien.
Eigentlich schien das Leben des jungen Alois vorgezeichnet, so wie es in seiner Generation für Tausende junger Menschen üblich war: Einen Beruf erlernen, in die Heimat zurückkehren, heiraten, Kinder bekommen und versuchen, sein Leben ruhig und behaglich einzurichten. In der Regel blieben die Menschen innerhalb ihres sozialen Umfeldes, ein Ausbrechen aus den Schranken der Unterschicht oder unteren Mittelschicht war nur in Ausnahmefällen möglich. Mangelnde Bildung, fehlendes Kapital und das ausgeprägte Standesdenken jener Zeit legten jedem enge Fesseln an. Alois jedoch nutzte in Wien eine Karrierechance: Die Zollbehörden rekrutierten Nachwuchskräfte auch aus ländlichen Gebieten; Alois, voller Entschlossenheit und Durchsetzungswillen, wohl auch durchtränkt von Abenteuerlust und Risikofreude, griff sofort zu. Als 19-Jähriger begann er seine Ausbildung bei der österreichischen Finanzbehörde. Mit seinem Volksschulabschluss und dem bescheidenen sozialen Hintergrund war der junge Mann damals sicher nicht der Idealkandidat für die Beamtenlaufbahn, sein Risiko zu scheitern hoch. Aber Alois biss sich durch, bildete sich in Eigenregie weiter und war unerwartet erfolgreich. Genau 40 Jahre sollte er als Zöllner arbeiten, bis er im Jahr 1895 vorzeitig pensioniert wurde, gesundheitlich angeschlagen, »wegen der durch das staatsärztlich bestätigte Zeugnis nachgewiesenen Untauglichkeit zur ferneren Dienstleistung«, wie es in der amtlichen Mitteilung zu seinen Ruhestandsbezügen heißt.
Eines der wenigen erhaltenen handschriftlichen Dokumente Alois’ ist eine Eingabe an die Finanzdirektion Linz, in der er kurz nach der Pensionierung um die Rückgabe seiner Dienstkaution bittet. Das Schriftstück spiegelt in seinem devoten Tonfall und der gestelzten Wortwahl den typischen Beamten der Donaumonarchie wider. Darin heißt es:
»Hohe k.k. Finanz-Direktion!
Der ehrfurchtsvoll Gefertigte wurde mit dem hohen Dekrete vom 25. Juni 1895 in den dauernden Ruhestand versetzt.
Nachdem derselbe nicht verantwortlicher Rechnungsleger war, erlaubt er sich, um gnädige Erfolgslassung, beziehungsweise Devinkulierungsbewilligung seiner Dienstkaution, welche Eigentum des Johann Murauer, Hausbesitzer in der Theatergasse Nr. 7 zu Braunau a. Inn ist, ehrfurchtsvoll zu bitten.
Zu diesem Behufe überreicht derselbe in der Anlage ehrfurchtsvoll die auf dessen Namen als Dienstkaution vinkulierte Silberrente-Obligation per 900 Gulden neben 1 Stück Zinsenzahlungsbogen, sowie die Kassenquittung über die erlegte Barkaution per 200 Gulden.« 3
Die Berufsjahre begleiten regelmäßige Beförderungen, die sonst nur Kollegen mit höherer Schulbildung erhalten. Alois dient sich als Amtsassistent hoch, später als Kontrolleur und wird schließlich Zollamtsoffizial. Sein Gehalt liegt am Ende der Dienstzeit bei 1100 Gulden jährlich, dazu addieren sich Ortszuschläge von 220 bis 250 Gulden. Selbst Schuldirektoren verdienen damals erheblich weniger. Mit einem Wort, Alois darf sich als Mitglied der Mittelschicht begreifen, sein Beruf verschafft ihm Autorität und Ansehen. Was der Emporkömmling mit seinem militärisch kurzen Haarschnitt, den buschigen Augenbrauen, dem sorgsam gepflegten Backenbart nach der Mode des Kaisers und durch seine Dienstuniform noch optisch unterstreicht. An eine Verwandte seiner Mutter schreibt er voller Stolz: »Seit Du mich vor 16 Jahren zuletzt gesehen hast, bin ich sehr hoch aufgestiegen.« 4
Der Zollbeamte Alois Hitler in Dienstuniform
Das neue Standesbewusstsein hat noch andere Konsequenzen: Im Jahr 1877 bricht Alois den Briefkontakt zur Schicklgruber-Sippe ab. »Der Vater hat sich um die Verwandtschaft nicht gekümmert«, berichtet später seine Tochter Paula. »Ich habe niemand von den Verwandten meines Vaters gekannt, so dass wir, meine
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