Die Hobbijahns
ihn nicht.
Als Archibald den Wasserfall hinunterstürzte, dauerte es nur wenige Sekunden... Archibalds entsetzter und wissender Gesichtsausdruck wich einem zufriedenen Lächeln: Er durfte für seine Freunde gehen und konnte seiner geliebten Frau Argenda nahe sein. Diesen friedvollen Ausdruck in seinen lilafarbenen Augen würde Jasmin nie vergessen.
Leere umspülte Jasmin, wie das dunkle Wasser ihre Beine.
Atemlosigkeit, Entsetzen, Trauer!
Ohne es bewusst wahrzunehmen, watete sie aus dem Fluss, stand nun am Ufer und sah dem Wasserfall nach, der Archibald mit sich genommen hatte auf eine Reise in die Unendlichkeit. Tränen rollten über ihre Wangen. Sie bekam Bauchschmerzen und der Kloß in ihrem Hals schien so groß wie ein Fußball zu sein. Balduin saß auf ihrer Schulter und streichelte Jasmins Ohrläppchen mit den Flügeln. Auch Gretchen kroch aus der Umhängetasche hervor und rutschte an Jasmins Arm empor auf die andere Schulter.
So trauerten sie gemeinsam um einen verlorenen Freund.
Hebbijahn trat zu Jasmin, doch sie bückte sich nicht, um ihn hochzunehmen.
Die Prophezeiung hatte ein wichtiges Teil aus ihrem Freundschaftsband geschnitten. Ein Stück, das niemals ersetzt werden konnte, und das nun in ihren Herzen als ewiges Andenken Platz fand.
Lange standen sie am Ufer des Schwarzen Flusses.
Irgendwann zog Hebbijahn an Jasmins durchnässter Hose. Leise sagte er: »Wir müssen gehen!« Hastig fuhr Jasmin herum. Für einen Moment wollte sie ihn beschimpfen. Doch im Geiste hörte sie Archibalds beruhigende und angenehme Stimme, die sie zurückhielt. Er hätte es nicht gewollt. So sagte Jasmin nichts, sondern schaute Hebbijahn zunächst vorwurfsvoll, dann traurig an.
Wieder brachen sie auf, in ein Land, das ihnen nun bekannt war. Erneut zu viert, aber mit einer nicht zu füllenden Lücke. Schweigend gingen sie durch das Land der Schatten. Jasmin dachte daran, wie Archibald und sie dieses Land durchquert hatten. Wie sie nach den anfänglichen Ängsten gelacht und Spaß gehabt hatten. Sie erinnerte sich an seine schönen Augen und seine Stimme. Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Und sie glaubte nie mehr lachen zu können. Ein Teil von ihr, von Gretchen und von Balduin, war mit Archibald den Wasserfall hinuntergestürzt.
Der Weg zurück
Ohne Zwischenfälle gelangte die neue Vierergruppe zu dem Berg, der sie in das Land der Blumen führte. Die ganze Zeit über hatten sie geschwiegen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Alle spürten die Trauer und das lähmende Entsetzen der anderen. Doch es schien in dieser Situation keinen Trost zu geben. Wie mechanisch stieg Jasmin mit ihren kleinen Freunden den grauen Berg hinauf. Vom Gipfel aus betrachteten sie die Blütenpracht, die erst kürzlich ihre Gefahren gezeigt hatte. Hebbijahn ging voran, den Berg hinunter. Gretchen, Balduin und Jasmin schauten sich ein letztes Mal um, sahen zurück in das dunkle, trostlose Land der Schatten. Weit entfernt sahen sie die Spitze eines Turmes. Einen Schatten hatten sie sich als trauriges Andenken mitgenommen: Der Schatten der Trauer hatte sich um ihre Herzen gelegt. Als sie dort oben auf dem Berg standen, wussten sie nicht, wann sich dieser lichten und wieder ein bisschen Sonne in ihre Herzen scheinen ließe. Jasmin wandte den Blick ab. Gretchen und Balduin saßen immer noch auf ihrer Schulter. Sie sollten dort bleiben, damit nicht noch ein weiterer Freund verloren ging. Damit sie schneller vorankamen, bot sie Hebbijahn an, ihn auf dem Arm zu tragen. Hebbijahn lächelte dankbar und streckte Jasmin die Arme entgegen, damit sie ihn besser hochnehmen konnte. Balduin blinzelte Hebbijahn von der anderen Seite traurig aber freundschaftlich zu.
Wie ein Roboter schritt Jasmin den Weg durch das Blumenlabyrinth. Die von Archibald gesponnenen Fäden wiesen ihr die Richtung. Die Erinnerung wurde schmerzlicher, denn mit jedem Schritt sah sie Archibald, als er Jasmin aufforderte, die schmackhaften Blätter der gelben Blume zu essen. Archibald, dessen Tränen wie lila Perlen zu Boden fielen, als er von seiner Frau erzählte. Archibald, der ihr zu Hilfe eilte, um Balduin aus der fleischfressenden Pflanze zu retten.
Überall lauerten Erinnerungen, die sich tief in ihr Herz eingruben, an die sie eines Tages glücklich, nur noch mit einem kleinen traurigen Beigeschmack, zurückdenken würde. Jetzt taten sie weh, so weh, dass Jasmin wieder weinen musste. So weh, dass sie das Gefühl hatte, jemand steche ihr mit einer Nadel ins Herz.
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