Die Höhle in den Schwarzen Bergen
verging eine Zeit, in der er nichts mehr von sich wußte. Er hätte auch nicht sagen können, wie lange er bewußtlos gewesen war, als seine Sinne langsam wiederkehrten.
Zuallererst versuchte er tief Luft zu holen, aber das gelang ihm nicht. Er empfand einen quälenden Brechreiz. Dadurch kam ihm zu Bewußtsein, daß er geknebelt war. Er vermochte kaum zu atmen. Nur wenn er langsam und ruhig Luft durch die Nase einzog, ließ der erstickende Brechreiz nach, und er konnte leben. Er versuchte sich zu rühren, aber die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden und die Füße zusammengefesselt. Er war ein Gefangener und befand sich in einer erbärmlich hilflosen Lage. Das einzige, was er noch zu tun vermochte, war, die Vorgänge um sich herum zu beobachten.
Von fernher erschallte wütendes Geschrei. Das war Kriegsgeschrei! Der Kriegsruf der Dakota gellte von Süden her; wie gut kannte ihn Harka von daheim. »Hi-jip- jip-jip-hi-jaah!« Wie oft hatte der Vater als Kriegshäuptling der Bärenbande diesen Ruf als erster ausgestoßen. Jetzt waren die, die ihn erhoben, zu Harkas Feinden geworden, und er horchte lieber auf das Rufen und Brüllen der Siksikau, die mit den Dakota auf der Prärie draußen in Kampf geraten sein mußten. Harka war wieder ganz in das Zelt hineingezogen worden. Er sah den Schatten eines schlanken Mannes, und neben ihm sah er das Mädchen, das sich erhoben und angekleidet hatte. Der Mann hatte zu sprechen begonnen:
»Uinonah, Tochter der Dakota! Du bist frei und wirst zu uns zurückkehren. Roter Pfeil, der dich liebt, kämpft draußen in der Prärie mit unseren Kriegern zusammen gegen die räudigen Siksikau. Alle Krieger aus den Zelten der Siksikau sind draußen im Kampf. Wir haben diese Stinktiere hier überlistet. Unsere Krieger griffen von Süden an; ich aber kam im Bogen von Norden, um dich zu holen. Du hattest mir recht berichtet. Mattotaupa ist hier, und er hat unsere Krieger aufgespürt und das Dorf gewarnt, so daß wir unvermutet früh auf diese schmutzfüßigen Kojoten stießen. Doch werden wir siegen, und Mattotaupa stirbt durch meine eigene Hand. Hörst du unseren Kriegsruf?«
»Hi-jip-jip-jip-hi-jaah!« gellte es wieder von der Prärie her, und dawider schallten die Kampfrufe der Siksikau: »Hai-jah-jiep!«
»Komm, Uinonah! Diesen Knaben in Fesseln nehmen wir mit. Er ist ein Kind der Dakota. Er gehört uns. Hau!«
Der Mann kam mit zwei schnellen Schritten zu Harka herbei, wickelte ihn in eine Büffelhautdecke, warf ihn über die Schultern wie eine Jagdbeute und eilte mit dem Mädchen zusammen aus dem Zelt hinaus. Harka konnte nichts mehr sehen, da die Decke auch über seinen Kopf geschlagen war. Während er schwer nach Luft rang, vernahm er noch etwas von dem Kriegsgeschrei, aber es schien, daß Tashunka-witko, der den Knaben erbeutet und das Mädchen befreit hatte, nicht zu dem Kampfgebiet hineilte, sondern in eine andere Richtung, in der er unbeobachtet blieb.
Harka litt allmählich derart an Atemnot, daß er nichts anderes mehr denken, wahrnehmen oder empfinden konnte als: Luft! Luft! Er wußte nicht mehr, wohin er getragen wurde oder wie lange er so fortgetragen wurde, aber da er sich dem Erstickungstode nahe glaubte, schien es ihm unendlich lange.
Als er zu Boden geworfen wurde, fiel er nicht hart. In seiner Qual versuchte er, die Decke, die ihm das Atmen noch mehr erschwerte, von seinem Gesicht wegzustreifen oder sich daraus hinauszuschieben. Er krümmte und streckte sich wie ein Wurm, ohne zu erreichen, was er wollte, und die Anstrengung erschöpfte ihn vollends. Aber da wurde ihm die Lederdecke auch vom Gesicht genommen, und nicht nur vom Gesicht, nein, sie wurde ganz aufgeschlagen, und die kühle Nachtluft strich über seine Haut, die von Angstschweiß naß war. Er machte die Augen auf und versuchte wieder ruhig Luft zu gewinnen, nur ruhig, ganz ruhig, das war die einzige Möglichkeit. Er sah den Sternenhimmel und neben sich die schlanke Gestalt Tashunka-witkos, der ihn weggeschleppt hatte, und er sah auch die Mädchengestalt, alles dunkel, im Nachtschatten zerfließend, denn der Mond schien nicht, und die Sterne flimmerten mit schwachem Licht. Die Geräusche des Kampfes, heisere Schreie waren aus größerer Entfernung noch zu hören. Es fielen aber keine Schüsse. Mattotaupa war wohl ohne seine Feuerwaffen auf Kundschaft gewesen, und nun lagen diese noch im Häuptlingszelt. Die Schwarzfüße mußten die angreifenden Dakota aber ein gutes Stück nach Süden zurückgedrängt
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