Die Höhlenkinder 3 – Im Steinhaus
geernteten Leinsamen bewahrte sie im ersten Jahr als Saatgut auf, aber schon im nächsten quetschte sie aus den Körben einen Topf voll honiggelben Öls. Als Hans nach einigen Wochen entdeckte, daß Flecken davon, die auf seinem Beinkleid verharzten, farbige Stäubchen festhielten, hatte er im Leinöl das Mittel gefunden, Erdfarben haltbar anzubringen. Von da an blieben die gezimmerten Truhen, Wandbretter und Löffelhalter nicht ohne bunten Schmuck.
Die Flachsstengel waren abgeerntet, Mutter und Sohn freuten sich auf das Einwässern, Darren, Brecheln, Hecheln, Spinnen und Weben, das sie gemeinsam tun wollten. Bisher hatte Eva die Rinde des gedörrten Flachses mühsam mit den Händen gebrochen. Hans unternahm es, ihr eine Brechelbank zu bauen. Diese sollte zwei steile Schalenhölzer tragen, zwischen denen ein langes, auf- und abgehendes Holzmesser die Rinde der quer aufgelegten Stengel knicken sollte. Zuerst mußte er ein brauchbares Schnitzgerät anfertigen. Um die splitterigen, unebenen, von einem Baumstamm abgespalteten Flachhölzer mit dem zweihändigen Schnitzmesser formen und glätten zu können, mußte er jedes zwischen Brust und Boden festklemmen. Das war zu unbequem, er versuchte es anders und legte das Holz auf seine lange Werkbank; der Vater mußte ein Ende des Holzes mit den Fäusten niederhalten, während Hans das Schnitzmesser führte. Dem Vater ging bald die Geduld aus. Da beschwerte Hans das eine Ende mit einem großen Stein, setzte sich rittlings vor das andere Ende seines Werkholzes und führte das Schnitzmesser vom Stein zu sich her über das Holz, daß dünne Späne entstanden. Aber selbst größere Steine gaben dem Zuge nach. Da erinnerte er sich an den Hebel, mit dem sich Bausteine und Baumstämme bewegen ließen, und verfiel darauf, mit einem drehbaren Hakenholz das Werkholz niederzuzwingen, aber noch wußte er nicht, wie er den Hebel anbringen sollte.
Wie manchmal im Leben kam ihm etwas Unerwartetes zu Hilfe. Mutter Eva wurde krank, und Hans mußte die Hausarbeiten übernehmen. Sobald er die Tiere versorgt und das Essen im Kessel über das Feuer gehängt hatte, rückte er seine Bank ans Bett der Kranken und schnitzte an den Teilen der Brechelbank. In der stillen Stube störte nichts sein Grübeln und Nachdenken. Er unterbrach die Arbeit an der Brechelbank und verbesserte seine Schnitzbank, meißelte in ihr eines Ende einen Durchlaß, bohrte dann die Seiten des Durchlasses und das Hakenholz quer durch und steckte einen Eisenstab als Achse des Hakenholzes durch die Löcher. Wenn er unten mit dem Fuß den Hebelbalken nach vorn drückte, bewegte sich oben der knorrige Kopf nach hinten abwärts gegen das Werkholz und drückte es fest an die Bank. Das Hakenholz war der starke Arm, den Hans gesucht hatte. Er gab dem knorrigen Astkopf die Gestalt einer klobigen Faust. Am Mittag rief Hans durch drei kräftige Schläge auf die Bratpfanne den Vater herbei. Staunend begutachtete Peter die Schnitzbank, die auch er gut gebrauchen konnte. Eva nannte das Gerät »Hanslbank«. Fröhlich führte der Erfinder das Schnitzmesser über das Werkholz, und ehe es Abend wurde, waren die Schalenhölzer der Brechelbank dünn und glatt.
Beim Abendessen aber sagte Eva, die den mit Arbeitsabfall übersäten Stubenboden nicht säubern konnte, sie wolle auf den Dachboden ziehen, damit sie den Wust von Spänen und Werkholz nicht immer anschauen müsse. Ihr Mann sah ein, daß die Wohnküche nicht auch Werkstatt sein konnte und beschloß, über der Küche einen neuen Wohnraum zu bauen, ein Obergeschoß aus festgefügten, mit Eisenklammern verkrallten Baumstämmen. Aber dazu waren große Vorbereitungen nötig, Eva mußte noch Geduld haben.
Hans räumte auf, so gut es ging, rückte am nächsten Morgen die Schnitzbank noch näher ans Bett der Kranken und brachte sie wieder in gute Laune: Er bat sie einfach um ein neues Märchen. Da begann sie zu erzählen und sagte mehr, als sie sagen wollte, und anderes, als sie vorgehabt hatte; es war, als spräche ein Geist aus ihr, dem ihre Zunge gehorchen mußte:
»Es war einmal ein Vater und eine Mutter, die lebten mit ihrem Sohn in einem schönen Tal fern von anderen Menschen. Der Sohn hatte Mutter und Vater so lieb, daß er ihnen das Leben leicht machen wollte. Dem Vater half er beim Schmieden und Schnitzen, beim Bauen und Heuen, der Mutter beim Kochen und Jäten, bei jeglicher Arbeit in Garten und Haus. Er besorgte die Haustiere, daß sie gern seinem Wort gehorchten. Und wenn die
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