Walzer, Küsse und Intrigen - Michaels, K: Walzer, Küsse und Intrigen
Prolog
P ferd und Reiter schossen förmlich zwischen den Bäumen hervor und schreckten ein Karnickel derart auf, dass es beinahe kopfüber in seinem Bau verschwand. Ein paar Vögel flatterten aufgeregt zum ungewöhnlich blauen Himmel empor.
Als die Stute den weichen, frisch gepflügten Acker erreichte, strauchelte sie kurz, fing sich aber und nahm erneut ihren rasenden Galopp auf.
Der Reiter, wie ein Jockey tief über den Pferdehals gebeugt, die Knie dicht an den Körper des Tieres gepresst, stand beinahe in den Steigbügeln. Er kannte die Strecke, genau wie sein Reittier. Zuerst die Hecke, dann das niedrige Gatter am Ende des Feldes, danach die Mauer, nicht hoch, doch ziemlich breit, mit abfallendem, leicht sumpfigem Gelände dahinter, danach eine Strecke, die wiederum zu einem kraftvollen Galopp einlud, und dann die große Prüfung, die unbestreitbare Herausforderung – das hohe Gatter. Und danach flammender Triumph.
Die Stute war kräftig und flink, doch der Reiter hatte sie vollkommen unter Kontrolle. Und Kontrolle war wichtig. Kontrolle über alles. Auch über den eigenen Geist, das eigene Herz, die eigenen Gefühle, das eigene Geschick.
Kontrolle gab einem Freiheit.
Nun waren alle minderen Hindernisse überwunden, und da, voraus, kam das hohe Gatter. Solch ein Sprung war nichts für zaghafte Naturen oder mittelmäßige Reiter. Man brauchte Können und Selbstvertrauen. Und vielleicht ein wenig Glück.
Doch das war dem Reiter bisher immer hold gewesen.
Das Pferd streckte sich, Muskelstränge zeichneten sich unter dem schimmernden Fell ab, und aus seinen Nüstern stob heiß der Atem in die kühle Morgenluft. Der Reiter verschmolz mit seinem Tier, drängte es vorwärts, spürte, wie beim Absprung die Hufe sich tief in den Boden gruben, und dann flogen sie beide hoch empor, der Erde enthoben, frei und eine scheinbar lange Weile aller Sorgen ledig, ein süßer, endloser Augenblick.
Dann schlugen die Hufe des Tieres wieder auf dem Boden auf, und es jagte dem Ziel entgegen, mit donnerndem Hufschlag, im Takt mit dem Herzschlag des Reiters, der jäh an sein Barett griff und es wie ein Siegesbanner in der Luft schwenkte.
Von seinem Halt befreit fiel eine Mähne pechschwarzen Haares daraus hervor und wehte im Wind. Ein üppiger, wie zum Küssen gemachter Mund öffnete sich zu einem jubelnden Schrei, der über das Feld hallte.
Dunkel bewimperte Augen von tiefem, fast violetten Blau blitzten, eine kecke Nase reckte sich, entzückende Sommersprossen kündeten von einer Unschuld, die dem sinnlichen Mund abging.
Derselbe Wind, der mit den wilden schwarzen Locken spielte, umschmeichelte die Konturen eines herrlichen Busens, bedeckt von einem weißen Herrenhemd, das in braunen Reithosen steckte, die selbst ein abgebrühter Freigeist als unzüchtig bezeichnet hätte.
Lady Nicole Daughtry, achtzehn Jahre alt, wusste, dass viele sie als Schönheit bezeichnen würden – und als außergewöhnlich. Sie schwelgte in ihrer Jugend, ihrer Kühnheit, genoss es, ungebunden und lebendig zu sein. Und herrlich und wunderbar frei.
Heute, heute wollte sie noch einmal diese Jugend, diese Freude feiern. Morgen, morgen würde sie sich verabschieden, verabschieden von einer Welt und eine andere, neue begrüßen; denn ihre erste Londoner Saison wartete, und sie würde sich ihr mit derselben Haltung stellen wie dem hohen Gatter.
Geradewegs und des Ergebnisses gewiss.
1. KAPITEL
März 1816
L ucas Payne, Marquis of Basingstoke, war der klassisch gut aussehende Mann – dichtes dunkelblondes Haar, klare blauen Augen und ein straffer, muskulöser Körper. Er kleidete sich tadellos, hatte exzellente Manieren, umsorgte seine verwitwete Mutter und war gut zu seinen Hunden.
Auf den Straßen grüßte er jeden freundlich und war Mitglied der besten Klubs. Ein Könner im Umgang mit Pferden, ein geübter Kämpfer beim modischen Boxsport, obwohl er zu sagen pflegte, dass er mit dem Degen besser sei als mit den Fäusten. Er schnupfte nicht, gab sich nicht hochnäsig, tanzte galant auch mit den Mauerblümchen, schmeichelte den älteren Damen und spielte nie über seine finanziellen Mittel hinaus, die allerdings beträchtlich waren.
Wenn dem Gedenken an den verstorbenen Vater des Marquis noch ein Hauch von Skandal anhaften mochte, so nicht mehr an dem Sohn.
Also wäre er, wenn er nur auch noch das Wetter bestimmen könne, beinahe göttergleich, behauptete in diesem Augenblick sein Freund Fletcher Sutton, seines Zeichens Viscount Yalding, der
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