Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
leidlich gut ging, nicht in der Lage war, etwas von ihr zu lernen. Jetzt, in tiefster Trauer und verwirrt darüber, dass Janice ein Segen zuteil wurde, den sie nicht nötig hatte, empfand er ihre Worte als unverschämt.
In den darauffolgenden Tagen wurde Janice mehr und mehr von Zweifeln geplagt, und sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was die Wiederherstellung ihrer Beine bedeutete. War sie undankbar? Waren ihre Beine zugleich Segen und Prüfung? Vielleicht waren sie eine Strafe, ein Hinweis darauf, dass sie sich ihrer Aufgabe nicht innig genug hingegeben hatte. Mehrere Möglichkeiten standen im Raum, und sie wusste nicht, welcher sie Glauben schenken sollte.
Noch jemand spielte eine wichtige Rolle in Neils Geschichte, auch wenn Neil ihm erst begegnete, als seine Reise fast zu Ende war. Der Name dieser Person ist Ethan Mead.
Ethan wuchs in einer frommen, wenn auch nicht strenggläubigen Familie auf. Ethans Eltern führten ihre überdurchschnittliche Gesundheit und ihr gutes finanzielles Auskommen auf Gott zurück, auch wenn sie niemals Zeuge einer Erscheinung gewesen waren oder Visionen gehabt hatten. Sie vertrauten einfach darauf, dass Gott, direkt oder indirekt, für ihr Glück verantwortlich war. Ihr Glaube war niemals einer ernsthaften Prüfung unterzogen worden und hätte bei einer solchen womöglich auch nicht standgehalten. Ihre Liebe zu Gott gründete auf ihrer Zufriedenheit mit dem Status Quo.
Ethan allerdings glich seinen Eltern nicht. Seit seinen Kindertagen war er überzeugt, dass Gott ihn für etwas Besonderes auserkoren hatte, und so wartete er auf ein Zeichen, das ihm zeigen würde, was er tun sollte. Gerne wäre er Prediger geworden, aber er hatte das Gefühl, dass er kein überzeugendes Bekenntnis zu bieten hatte, und seine unbestimmte Erwartungshaltung schien ihm zu wenig. Er sehnte sich nach einer Begegnung mit dem Göttlichen, die ihm die Richtung weisen würde.
Er hätte sich zu einer der heiligen Stätten begeben können, einem der Orte, an denen – aus unbekannten Gründen – Engelserscheinungen fast regelmäßig stattfanden, aber Ethan war der Meinung, dass ein derartiges Vorgehen anmaßend gewesen wäre. Die heiligen Stätten waren normalerweise die letzte Zuflucht für Verzweifelte, jene, die sich eine Wunderheilung für ihren Leib erhofften oder das Himmelslicht sehen wollten, um ihre Seelen zu retten, und Ethan war nicht verzweifelt. Er kam zu dem Schluss, dass ihm ein eigener Weg bestimmt worden war und sich mit der Zeit schon klären würde, wohin ihn dieser führen sollte. Solange er darauf wartete, gab er sich Mühe, so gut zu leben, wie er es vermochte. Er arbeitete als Bibliothekar, heiratete eine Frau namens Claire und zog mit ihr zwei Kinder groß. Dabei hielt er aufmerksam Ausschau nach Zeichen einer höheren Bestimmung.
Ethan war sich sicher, dass seine Zeit gekommen war, als er Zeuge einer Erscheinung von Rashiel wurde, derselben Erscheinung, bei der einige Kilometer weiter entfernt Janice ihre Beine erhielt. Ethan war alleine, als es geschah. Als der Boden zu beben anfing, ging er gerade über einen Parkplatz zu seinem Auto. Instinktiv wusste er, dass es sich um eine Erscheinung handelte. Er kniete nieder, wobei er keine Angst verspürte, sondern nur Verzückung und Ehrfurcht, da er hoffte, endlich seine Bestimmung zu erfahren.
Nach einer Weile beruhigte sich die Erde wieder, und Ethan sah sich um, blieb aber ansonsten reglos. Erst einige Minuten später stand er wieder auf. Genau vor ihm klaffte ein großer Riss im Asphalt und führte im Zickzack die Straße hinab. Der Riss schien Ethan eine bestimmte Richtung zu weisen, und so folgte er ihm einige Häuserblocks entlang, bis er auf andere Überlebende stieß, einen Mann und eine Frau, die aus einem kleineren Spalt herauskletterten, der sich unmittelbar unter ihnen aufgetan hatte. Ethan blieb bei den beiden, bis Rettungskräfte eintrafen, und begleitete sie, bis sie in Sicherheit waren.
Bei den Treffen der Selbsthilfegruppe, die nach Rashiels Erscheinung zusammenkam, lernte Ethan andere kennen, die Zeuge der Ereignisse gewesen waren. Nach einigen Gruppentreffen fiel ihm ein gewisses Muster im Verhalten der Besucher auf. Da gab es natürlich jene, die Verletzungen erlitten hatten oder mit Wunderheilungen gesegnet worden waren. Aber es gab auch solche, deren Leben sich auf andere Weise verändert hatte: Der Mann und die Frau, die er zuerst getroffen hatte, verliebten sich ineinander und verlobten sich bald;
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