Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
hatten und die nun Gott zürnten. Die Mitglieder dieser Gruppe sahen einander alle zwei Wochen in einem örtlichen Gemeindezentrum, und sie sprachen dort über die Wut und die Trauer, die in ihnen brodelte.
Die Teilnehmer dieser Gruppe kamen trotz ihrer verschiedenen Einstellungen Gott gegenüber gut miteinander aus. Von jenen, die vor ihrem Verlust gläubig gewesen waren, rangen einige damit, sich diesen Glauben zu bewahren, während andere sich ohne zu zögern von ihrer Frömmigkeit abwandten. Von jenen, die bis zu ihrem Schicksalsschlag Atheisten gewesen waren, fühlten sich einige in ihren Ansichten bestätigt, während sich andere wiederum mit der schier unlösbaren Herausforderung konfrontiert sahen, nun im Glauben Halt zu finden. Zu seiner eigenen Bestürzung gehörte Neil zu dieser letzten Gruppe.
Wie alle anderen Ungläubigen hatte Neil nie viel Zeit darauf verschwendet sich auszumalen, wo seine Seele einmal enden würde. Er hatte immer angenommen, dass er in der Hölle landen würde, und sich längst damit abgefunden. So war der Lauf der Dinge, und die Hölle war schließlich kein schlimmerer Ort als die Welt der Sterblichen.
Die Hölle verhieß eine permanente Verbannung aus der Gegenwart Gottes, nicht mehr und nicht weniger. Das war immer dann, wenn die Hölle sich offenbarte, für jeden klar ersichtlich geworden. Dies geschah öfters; dann schien der Erdboden durchsichtig zu werden, und man konnte, als würde man durch ein Loch im Boden blicken, die Hölle sehen. Die verlorenen Seelen unterschieden sich nicht von den Lebenden; ihre unsterblichen Leiber glichen denen der Sterblichen. Sprechen konnte man nicht mit ihnen – ihre Verbannung aus Gottes Gegenwart hatte zur Folge, dass sie die Welt der Sterblichen, wo Sein Wirken immer noch zu spüren war, nicht wahrnehmen konnten –, aber solange die Erscheinungen der Hölle andauerten, konnte man hören, wie die Höllenbewohner sprachen, lachten oder weinten, ganz so, wie sie es getan hatten, als sie noch am Leben gewesen waren.
Auf die Höllenerscheinungen reagierten die Menschen in unterschiedlichster Weise. Die meisten Gläubigen waren wie elektrisiert, nicht weil sie etwas Furchtbares sahen, sondern weil ihnen vor Augen geführt wurde, dass es möglich war, die Ewigkeit außerhalb des Paradieses zu verbringen. Neil gehörte jedoch zu denen, die der Anblick der Höllenerscheinungen unbeeindruckt ließ. Soweit er erkennen konnte, waren die verlorenen Seelen nicht unglücklicher als er selbst und ihr Dasein nicht schlimmer als das in der Welt der Sterblichen. In mancher Hinsicht ging es den Höllenbewohnern sogar besser, denn ihre Körper litten nicht länger unter angeborenen Missbildungen.
Natürlich wusste jeder, dass der Himmel ungleich schöner war als die Hölle oder die Welt der Sterblichen, doch für Neil blieb er immer etwas Unfassbares, das er sich nicht vorstellen konnte, so wie Reichtum, Ruhm oder Glamour. Für jemanden wie ihn war die Hölle einfach ein Ort, an dem es einen nach seinem Tod verschlägt, und er sah keinen Grund, sein Leben umzukrempeln, in der Hoffnung, dem zu entgehen. Und da Gott bisher keine Rolle in Neils Leben gespielt hatte, hatte er keine Angst, von ihm verstoßen zu werden. Die Aussicht, in einer Welt zu leben, in der es von Natur aus keine segensreichen oder leidbringenden Eingriffe von außen gab, barg keinen Schrecken für ihn.
Seit Sarah im Himmel war, hatte sich seine Situation jedoch von Grund auf geändert. Nichts wünschte sich Neil mehr, als wieder mit ihr zusammen zu sein, und der einzige Weg, dieses Ziel zu erreichen, bestand darin, Gott von ganzem Herzen zu lieben.
Dies ist Neils Geschichte, doch um sie richtig zu erzählen, muss noch von zwei anderen Menschen berichtet werden, die seinen Weg kreuzten. Die erste dieser Personen ist Janice Reilly.
Janice war tatsächlich widerfahren, was die Leute von Neil glaubten. Als Janices Mutter im achten Monat mit ihr schwanger war, verlor sie die Kontrolle über ihr Auto und raste während eines Hagelsturms gegen einen Telefonmast. Faustgroße Eisklumpen stürzten aus einem strahlend blauen Himmel herab und bedeckten die Straße, als ob riesige Kugellager geborsten wären. Janices Mutter saß zitternd, aber unverletzt in ihrem Auto, als sie eine silberne Flammenwucherung – von der man später zu sagen wusste, dass es der Engel Bardiel war – über den Himmel tanzen sah. Dieser Anblick ließ Janices Mutter vor Schreck erstarren; dennoch bemerkte sie, dass
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