Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
Gegenleistung dafür, seine Frau wieder freizulassen, von ihm Zuneigung erwarten. Vielleicht wäre es ihm eines Tages gelungen, Gehorsam gegenüber Gott aufzubringen, aber aufrichtige, von Herzen kommende Liebe? Das war ein Lösegeld, über das er nicht verfügte.
Für einige Besucher der Selbsthilfegruppe stellte dieses Paradox eine Herausforderung dar. Einer der Teilnehmer, ein Mann namens Phil Soames, wies ganz richtig darauf hin, dass man von vornherein zum Scheitern verurteilt war, wenn man davon als eine Bedingung dachte, die es zu erfüllen galt. Nicht als Mittel zum Zweck durfte man Gott lieben, sondern bedingungslos um Seiner selbst willen. Wenn der eigentliche Grund, Gott zu lieben, darin bestand, mit seinem Partner wiedervereint zu werden, dann bewies man keine wahrhaftige Frömmigkeit.
Eine Teilnehmerin der Gruppe namens Valerie Tommasino meinte, man solle es noch nicht einmal versuchen. Sie hatte ein Buch der Humanistischen Bewegung gelesen, deren Anhänger es für falsch hielten, einen Gott, der solches Leid verursachte, lieben zu wollen. Stattdessen traten die Autoren dafür ein, dass Menschen entsprechend ihrer eigenen moralischen Überlegungen handeln sollten, statt der Vorgabe von Zuckerbrot und Peitsche zu folgen. Wenn solche Leute starben, fuhren sie mit stolzem Trotz gegenüber Gott zur Hölle.
Neil hatte einmal eine Broschüre der Humanistischen Bewegung gelesen, und woran er sich am besten erinnern konnte, war, dass darin die gefallenen Engel zitiert wurden. Erscheinungen gefallener Engel waren selten und hatten weder gute noch schlechte Auswirkungen. Sie waren nicht Gottes Weisungen unterworfen, sondern durchquerten die Welt der Sterblichen lediglich, wenn sie in eigener Sache unterwegs waren. Wenn sie denn erschienen, stellten die Menschen ihnen Fragen: Kannten sie die Absichten Gottes? Warum hatten sie aufbegehrt? Die Antwort der gefallenen Engel war immer dieselbe: Entscheidet selbst. Das haben auch wir getan. Wir raten euch, unserem Beispiel zu folgen .
Die Anhänger der Humanistischen Bewegung hatten sich entschieden, und wenn Sarah nicht gewesen wäre, hätte sich Neil ihrer Wahl angeschlossen. Aber er wollte zu Sarah zurück, und das konnte er nur, wenn er einen Grund fand, Gott zu lieben.
Auf der Suche nach irgendeinem Fundament, auf dem sie ihren Glauben gründen konnten, trösteten sich einige Teilnehmer der Selbsthilfegruppe damit, dass die von ihnen geliebten Menschen, als Gott sie zu sich rief, nicht gelitten hatten, sondern sofort gestorben waren. Doch damit konnte sich Neil nicht beruhigen. Die Glasscherben, von denen Sarah getroffen worden war, hatten ihr schreckliche Schnittwunden zugefügt. Es hätte natürlich auch noch schlimmer kommen können. Ein Ehepaar hatte einen Sohn im Teenageralter, der von einem Feuer eingeschlossen wurde, das durch eine Engelserscheinung verursacht worden war. Achtzig Prozent seines Körpers waren von Verbrennungen dritten Grades entstellt worden, bevor Rettungskräfte ihn herausholen konnten. Als er schließlich starb, war das letztlich eine Erlösung. Verglichen damit hatte Sarah noch Glück gehabt, aber nicht so viel Glück, dass es Neil gelungen wäre, Gott zu lieben.
Nur eine Sache fiel Neil ein, die es ihm ermöglichen würde, Gott dankbar zu sein – Gott sollte Sarah gestatten, ihm zu erscheinen. Allein schon, sie noch einmal lächeln zu sehen, hätte ihm unfassbaren Trost gespendet. Ihn hatte noch nie eine gerettete Seele aufgesucht, aber jetzt würde ihm eine Vision mehr bedeuten als irgendwann sonst in seinem Leben.
Eine Vision erscheint einem aber nicht einfach deshalb, weil man ihrer sehr bedarf, und so wurde Neil keine zuteil. Er musste selbst seinen Weg zu Gott finden.
Als Neil die Selbsthilfegruppe der Zeugen von Nathanaels Erscheinung das nächste Mal besuchte, ging er auf Benny Vasquez zu, den Mann, der durch das himmlische Licht geblendet worden war. Benny kam nicht immer zu den Treffen, denn er wurde inzwischen öfters von anderen Gruppen eingeladen. Nur wenige Erscheinungen ließen augenlose Menschen zurück, da das himmlische Licht die Welt der Sterblichen nur für einen kurzen Augenblick streifte, wenn ein Engel vom Himmel kam oder dorthin zurückkehrte. Augenlose Menschen waren fast schon so etwas wie Prominente und bei Kirchengruppen als Vortragende sehr gefragt.
Benny war so blind wie ein sich durch das Erdreich windender Wurm. Seine Augen und Augenhöhlen waren nicht einfach nur verschwunden, sein
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