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Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Titel: Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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reden und an den Ereignissen teilnehmen zu können, war schwindelerregend. Ich geriet in Versuchung zu sprechen, um herauszufinden, ob ich eine versteckte Rolle in dieser Erzählung spielen konnte, doch dann besann ich mich und erinnerte mich daran, dass ich in meiner eigenen Geschichte eine verborgene Rolle spielen wollte. So ging ich also wortlos davon und suchte mir eine Karawane, der ich mich anschließen konnte.
    Es heißt, Eure Majestät, dass das Schicksal über die Pläne der Sterblichen lacht. Zuerst schien es, dass mir das Glück hold war, denn noch innerhalb eines Monats brach eine Karawane in Richtung Bagdad auf. In den darauffolgenden Wochen begann ich jedoch, meinem Glück zu zürnen, denn die Reise dieser Karawane war von Hemmnissen geplagt. Die Quellen einer Stadt unweit von Kairo waren ausgetrocknet, und ein Trupp musste zurückgeschickt werden, um Wasser zu holen. In einem anderen Dorf erkrankten die Soldaten, welche die Karawane bewachten, an der Ruhr, und wir mussten Wochen warten, bis sie wieder genesen waren. Mit jeder Verzögerung musste ich neue Berechnungen anstellen, wann wir in Bagdad eintreffen würden, und allmählich wurde ich immer nervöser.
    Die Sandstürme, die uns alsbald heimsuchten, schienen mir wie eine Warnung Allahs und ließen mich wahrlich die Weisheit meines Handelns bezweifeln. Wir hatten das Glück, bei einer Karawanserei westlich von Kufa zu rasten, als die Stürme zum ersten Mal über uns hereinbrachen. Doch unser Aufenthalt zog sich hin, zuerst tage-, dann wochenlang, als ein ums andere Mal der Himmel sich aufklarte, nur um sich wieder zu verfinstern, sobald unsere Kamele beladen waren. Der Tag von Najyas Unglück rückte näher und näher, und ich wurde immer verzweifelter.
    Ich wandte mich an jeden einzelnen der Kamelführer mit der dringlichen Bitte, mit mir alleine vorauszureisen, aber ich konnte keinen von ihnen überzeugen. Schließlich fand ich einen, der bereit war, mir ein Kamel für einen Preis zu verkaufen, der unter anderen Umständen unverschämt hoch gewesen wäre, den ich aber nur zu bereitwillig zahlte. Dann machte ich mich alleine auf den Weg.
    Es ist wohl kaum erstaunlich, dass ich während des Sturmes nur langsam vorankam, doch sobald der Wind nachließ, gelang es mir, ein rasches Tempo einzuschlagen. Allerdings war ich ohne die Wächter der Karawane ein leichtes Opfer für Räuber, und natürlich wurde ich nach zwei Tagen aufgehalten. Sie nahmen mir mein Geld und mein Kamel, verschonten jedoch mein Leben. Ob aus Mitleid, oder weil ich ihnen gleichgültig war, vermag ich nicht zu sagen. Ich kehrte zurück, um mich wieder der Karawane anzuschließen, doch quälte mich nun ein wolkenloser Himmel, und ich litt entsetzlich unter der Hitze. Als die Karawane mich fand, war meine Zunge geschwollen, und meine Lippen waren so rissig wie in der Sonne gebackener Lehm. Von da an hatte ich keine andere Wahl, als bei der Karawane zu bleiben.
    Wie eine welke Rose, deren Blütenblätter eines nach dem anderen abfallen, schwand mit jedem Tag meine Hoffnung. Als die Karawane die Stadt des Friedens erreichte, wusste ich, dass es zu spät war, doch als wir durch das Stadttor einritten, fragte ich die Torwachen, ob sie von einer Moschee gehört hatten, die eingestürzt sei. Der erste Wachmann, den ich fragte, wusste nichts, und einen Herzschlag lang wagte ich zu hoffen, dass ich den Tag des Unglücks falsch in Erinnerung hatte und in der Tat noch rechtzeitig angekommen war.
    Ein anderer Wächter sagte mir dann, dass tatsächlich erst gestern im Karkh-Viertel eine Moschee eingestürzt sei. Seine Worte trafen mich mit der Wucht eines Henkersbeils. So weit war ich gereist, nur um die schlimmste Nachricht meines Lebens ein zweites Mal zu hören!
    Ich ging zu der Moschee und sah den Steinhaufen, wo einst eine Mauer gestanden hatte. Es war ein Anblick, der meine Träume seit zwanzig Jahren heimsuchte, doch dieses Mal verging das Bild auch dann nicht, als ich meine Augen aufschlug, sondern bot sich mir deutlicher dar, als ich zu ertragen vermochte. Ich wandte mich ab und irrte ziellos umher, bis ich mich vor meinem alten Haus wiederfand, dem Haus, in dem Najya und ich einst gelebt hatten. Verzweifelt und von Erinnerungen erfüllt stand ich auf der Straße.
    Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, als eine junge Frau zu mir trat und mich ansprach. »Mein Herr«, sagte sie, »ich suche nach dem Haus von Fuwaad ibn Abbas.«
    »Ihr habt es gefunden«, sagte ich.
    »Seid Ihr

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