Die Hölle von Tarot
menschliche Hände und Füße. „Der Gott der Chaldäer lacht über die vergeblichen Mühen des Menschen, seinem Schicksal zu entrinnen“, bemerkte Therion. „Lach, Anu, lach!“ Schreckliche Laute der Fröhlichkeit erfüllten den Raum.
„Die Sumerer, Arkadier, Assyrer, Babylonier und so weiter kannten schon entwickelte religiöse Mythen, aus denen die Hebräer eifrig abschrieben. Die Schöpfung, Eden, der Baum des Lebens, die Sintflut, der Turmbau von Babel, der Brand der Städte, die zwölf Zeichen des Zodiak, die Symbole der Cherubim – alles auf Tafeln verzeichnet, ehe die Bibel geschrieben wurde. Auch die heilige Dreieinigkeit von Ea, Bei und Ishtar, wo die Göttin als Taube dargestellt ist …“
Aber die Karosse stieß durch eine weitere Wand. Plötzlich erfüllte das Summen von Fliegen die heiße Luft. „Ah, das muß der Ort des phönizischen Gottes Baal Zebub, des Herrn der Fliegen, sein“, meinte Therion glücklich. „Später korrigierte man das fälschlicherweise zu Beelzebub und machte ihn zu einem Teufel, doch er war eigentlich auch nicht schlimmer als …“
Sie durchstießen eine weitere Wand und gerieten in einen Raum, der durch einen riesigen Phallus beherrscht wurde. „Das Zeichen des brahmanischen Gottes Schiwa, Teil der Dreieinigkeit Indiens“, erklärte Therion fröhlich. „Symbol und Instrument der schöpferischen Qualitäten und des allverzehrenden Feuers, entwickelt zu Stab, Zepter und Krummstab. Vielleicht können wir auch Schiwas vielarmige Begleiterin sehen, die Göttin Kali, die Göttin der Naturgewalten und der rücksichtslosen Grausamkeit in den Naturgesetzen. Ihr zu Ehren töteten die Thuggees Tausende von …“
Aber wieder veränderte sich die Szenerie. „Oh, komm“, protestierte Therion und wurde schließlich ärgerlich. „Jede dieser phantastischen Höllen verdient ein ganzes Leben an Aufmerksamkeit, und wir bekommen gerade nur Sekunden. Stop, stop … laßt uns noch einmal richtig hinsehen.“
Die Plattform kam kreischend zum Stillstand und schleuderte sie fast herunter. Sie befanden sich in einer langen, schmalen Höhle, in der nur Raum für die Schienen war, und der Weg war durch verschiedene Hindernisse versperrt: Felsen, Leichen, zersplitterte Teile, aus denen giftige Dämpfe entströmten. Langsam zog sich eine Reihe zerlumpter Menschen den Weg entlang, verfolgt von Dämonen. „Hm, das hier kenne ich, glaube ich, nicht“, murmelte Therion. „Muß ein Konvoi sein, ein Transfer von Personal von einer Einheit in die andere.“
Die Plattform bewegte sich nun langsamer und im Tempo der traurigen Marschierer. An beiden Seiten der Reihe sprangen Dämonen auf und ab, schrien die Menschen an, traten sie und schlugen sie mit Keulen und Peitschen.
Carolyn starrte sie mit aufgerissenen Augen und halbgeöffnetem Mund entsetzt an. Amaranths Reaktion war direkter. „Hört auf!“ schrie sie. „Laßt die armen Leute in Ruhe!“
„Das ist die Hölle“, meinte Therion. „Sünder sollen doch leiden!“
Bruder Paul und Lee schwiegen, weil sie wußten, daß sie sich nicht einmischen konnten. Die Hölle wäre in der Tat zu nichts nütze, wenn es sich um einen angenehmen Ort handelte. Dies war eine von Tausenden, wenn nicht Millionen ähnlicher Bestrafungen, doch es war schwer, so etwas auszuhalten.
Ein Kind stolperte über einen der Vorsprünge und fiel fast in eine der Felsspalten. Die Frau dahinter umfaßte seinen Arm, um es zu halten. „Hände weg!“ schrie ein Dämon und schlug sie mit der Keule über den Kopf. Sie stolperte und fiel fast selber in den Spalt, wobei sie sich ein Bein an dem scharfen Rand aufriß. Blut floß herab. Der Dämon lachte.
Dann kam ein anderer Dämon. Er nahm die Frau am Arm, richtete sie auf und half ihr über den Spalt. „Ich hole einen Arzt, wenn es das hier gibt“, sagte er zu ihr. „Ich kann’s nicht versprechen, aber ich versuche mein Bestes.“
„Dummkopf“, sagte der erste Dämon. „Wir sind hier in der Hölle. Du wirst bei lebendigem Leibe gebraten, wenn du dich nicht anpaßt!“
Der zweite Dämon wandte ihnen den Rücken zu und ging seiner Wege. Der erste kehrte zu seiner Aufgabe zurück, trat die sich vorbeischleppenden Menschen, schrie sie an und fuhr auf seine Weise fort.
„Komisch“, meinte Bruder Paul. „Selbst bei den Dämonen gibt es charakterliche Unterschiede, wie bei den Menschen.“
Der Weg bog um eine Ecke und endete vor einer zweiflügligen Tür. Die verdammten Seelen wurden durch den rechten
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