Die Hofnärrin
ich habe ihn als mein Kind
ausgegeben. Und nun ist er wirklich auch mein Sohn.«
»Dies ist mein Sohn?«, fragte Daniel verwundert. Zum ersten
Mal sah er das Kind richtig an und erkannte – wie jeder hätte
erkennen müssen – die dunklen Augen, seine Augen, und das
tapfere Lächeln.
»Er ist auch mein Junge«, sagte ich eifersüchtig. »Er weiß
genau, dass er mein Junge ist.«
Daniel stieß ein leises, mit Schluchzen vermischtes Lachen aus
und streckte die Arme nach dem Kleinen aus. Danny ließ sich
vertrauensvoll von seinem Vater nehmen, legte ihm die pummeligen
Ärmchen um den Hals, sah ihm ernst ins Gesicht und lehnte sich zurück,
um ihn genauer zu betrachten. Dann schlug er sich die kleine Faust auf
die Brust und sagte auffordernd: »Dan'l.«
Daniel nickte und zeigte auf sich selbst. »Vater«, sagte er.
Dannys kleine, halbmondförmige Augenbrauen schnellten interessiert nach
oben.
»Dein Vater«, betonte Daniel.
Er nahm meine Hand und zog sie fest unter seinen Arm, während
sein anderer Arm den Sohn hielt. Dann gingen wir zu dem
Entlassungsoffizier. Daniel gab seinen Namen an und wurde auf der Liste
ausgestrichen. Gemeinsam schritten wir unter dem Fallgatter hindurch.
»Wohin gehen wir?«, fragte ich, auch wenn es mir nicht so
wichtig erschien. Solange ich bei Daniel und Danny war, hätten wir
überallhin gehen können auf dieser Welt, mochte sie nun flach sein oder
rund, im Zentrum des Alls oder ein Trabant der Sonne.
»Wir werden uns ein Heim schaffen«, sagte er entschlossen.
»Für dich und mich und Daniel. Wir werden nach den Geboten unseres
Volkes leben, du wirst meine Frau sein und seine Mutter, und wir werden
den Kindern Israels angehören.«
»Ich bin einverstanden«, sagte ich, womit ich ihn erneut in
Erstaunen versetzte.
Daniel verharrte mitten im Schritt. »Du bist einverstanden?«,
wiederholte er in drolligem Ton.
Ich nickte.
»Und Daniel soll auch aufwachsen wie einer aus dem
Auserwählten Volk?«, hakte er nach.
Ich nickte. »Er gehört ihm bereits an«, sagte ich. »Ich habe
ihn beschneiden lassen. Nun musst du ihn lehren, und wenn er älter ist,
wird er aus der hebräischen Bibel meines Vaters lernen.«
Daniel holte tief Luft. »Hannah, in meinen kühnsten Träumen
hätte ich nicht so etwas erwartet.«
Ich schmiegte mich an ihn. »Daniel, als ich ein Mädchen war,
wusste ich nicht, was ich wollte. Und dann wurde ich eine Närrin, in
jeder Bedeutung des Wortes. Doch jetzt bin ich eine erwachsene Frau.
Ich weiß, dass ich dich liebe, dass ich deinen Sohn aufziehen will und
die Kinder, die wir noch bekommen werden. Ich habe erlebt, wie einer
Frau das Herz vor Liebe brach: Das war Königin Maria. Und ich habe
gesehen, wie eine andere Frau ihre Seele verleugnete, um der Liebe zu
entgehen: Das war Prinzessin Elisabeth. Ich aber will ich selbst sein,
ich will Hannah Carpenter sein.«
»Und wir werden dort leben, wo wir ohne Gefahr nach unserem
Glauben leben können«, bestimmte Daniel.
»Ja«, sagte ich. »In dem England, das Elisabeth erschaffen
wird.«
Anmerkung der
Autorin
D ie Figuren Hannahs und ihrer Familie sind
erfunden, doch in jener Ära gab es viele jüdische Familien, die in
London und anderen Großstädten Europas lebten und ihren wahren Glauben
verbergen mussten. Cecil Roths bewegender geschichtlicher Darstellung
sowie der bekannten Autorin und Dokumentarfilmerin Naomi Gryn verdanke
ich einen Einblick in die Lebensgeschichten dieser mutigen Menschen.
Die meisten anderen Figuren meines Romans beruhen auf realen
Persönlichkeiten und wurden von mir in die fiktive Handlung auf eine
Weise eingefügt, die mir am ehesten den historischen Quellen zu
entsprechen schien. Nachstehend finden Sie eine Bibliographie meiner
Quellen. Für die Geschichte der Feste Calais möchte ich dem
französischen Historiker Georges Fauquet danken, der mir großzügig
seine Zeit und seine Kenntnisse widmete.
Billington, Sandra: A Social
History of the Fool, 1984.
Braggard, Philippe, Johan Termote und John
Williams (Hg.): Walking the Walls: Historie defenses in
Kent, Côte d'Opale and West Flanders , Kent
County Council, 1999.
Brigden, Susan: New Worlds ,
Lost Worlds : The rule
of the Tudors 1485-1603, 2000.
Cressy, David: Birth , Marriage and Death: Ritual, religions
and the life cycle in Tudor and Stuart England, 1977.
Derby, H.C.: A New Historical Geography
of England before 1600, 1976.
Doran, John: A History
of Court Fools , 1858.
Fontaine, Raymond: Calais, ville
d'histoire et de
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