Die Hofnärrin
einfach und klar gehalten. Dies war ein Land, in dem die
Menschen selbst lesen wollten und ohne Priester zurechtkamen, dies war
immerhin eine Beruhigung.
Wir verkauften die Bücher fast zum Selbstkostenpreis, um das
Wort Gottes zu verbreiten. Wir machten bekannt, dass wir unsere Arbeit
taten, weil wir inzwischen überzeugte Protestanten waren. Wir hätten
nicht bessere Protestanten sein können, wenn unser Leben davon
abgehangen hätte.
Und natürlich hing unser Leben davon ab.
Ich erledigte Botengänge, las Korrektur, half bei den
Übersetzungen, setzte die Lettern, nähte wie ein Sattler mit der
spitzen Nadel des Buchbinders und las die Texte der in Spiegelschrift
und auf dem Kopf stehenden Lettern in der Presse. An Tagen, wenn im
Geschäft nicht viel zu tun war, stand ich vor der Tür, um Passanten
herbeizulocken. Immer noch trug ich die Kleidung eines Knaben, und wie
ich so dastand, hätte jedermann mich mit einem herumlungernden Burschen
verwechseln können: Die Kniehosen flatterten um meine bloßen Beine,
meine strumpflosen Füße steckten in alten Schuhen, die Kappe saß mir
schief auf dem Kopfe. Sobald die Sonne herauskam, lehnte ich an der
Wand unseres Geschäfts wie ein junger Landstreicher, sog die schwache
englische Sonne auf und sah müßig die Straße auf und ab. Zur Rechten
gab es einen Buchhändler, dessen Geschäft kleiner war als unseres und
der billigere Waren führte. Zur Linken war ein Buchhändler, der
Broschüren, Gedichte und Traktate für Hausierer und Balladenverkäufer
führte, neben ihm saß ein Miniaturmaler und neben diesem ein Porträt-
und Miniaturmaler. In dieser Straße arbeiteten alle mit Papier und
Tinte, und mein Vater pflegte zu sagen, ich solle dankbar sein für ein
Leben, bei dem ich mir nicht die Hände ruinierte. Ja, ich hätte dankbar
sein sollen – doch ich war es nicht.
Es war eine enge Straße, armseliger noch als unser
zeitweiliges Quartier in Paris. Jedes Haus hing wie verklammert an
seinem Nachbarn und neigte sich wie ein torkelnder Trunkenbold dem
Fluss zu, die vorspringenden Giebelfenster der Häuser hingen über dem
Kopfsteinpflaster und verdeckten den Himmel, sodass der schwache
Sonnenschein ein Streifenmuster auf den lehmbestrichenen Wänden
erzeugte. Die Straße stank wie ein Misthaufen. Morgens beugten sich die
Frauen aus den überhängenden Erkern und leerten Nachttöpfe und
Waschschüsseln in das Rinnsal, das mitten auf der Straße dahinfloss.
Die üble Brühe glitt träge weiter, bis sie schließlich im Schmutzteich
der Themse landete.
Ich wollte an einem schöneren Ort leben, einem Ort wie dem
Garten der Prinzessin Elisabeth mit seinen Bäumen und Blumen und dem
wunderbaren Blick auf den Fluss. Ich wollte etwas Besseres sein als
die, die ich war: Nicht der zerlumpte Lehrling eines Buchhändlers,
eigentlich ein verkleidetes Mädchen, das einem ihm Unbekannten als
künftige Braut versprochen war.
Wie ich so dastand und mich wie eine verdrossene spanische
Katze in der Sonne wärmte, vernahm ich Sporenklirren auf dem
Kopfsteinpflaster. Ich riss die Augen auf, plötzlich ganz wach. Vor
mir, einen langen Schatten werfend, stand ein junger Mann. Er war
prächtig gekleidet, trug einen hohen Hut auf dem Kopf, einen Umhang,
der von seinen Schultern fiel, und eine dünne Klinge aus Silber an der
Seite. Er war atemberaubend, der schönste Mann, den ich je gesehen
hatte.
All dies war schon erstaunlich genug, ich spürte, dass ich ihn
anstarrte, als sei er ein vom Himmel herabgestiegener Engel. Doch
hinter ihm stand ein zweiter Mann.
Dieser war älter, mochte fast dreißig Jahre zählen, er hatte
die blasse Haut eines Gelehrten und dunkle, tief liegende Augen. Leute
seines Schlages kannte ich gut, sie hatten die Buchhandlung meines
Vater in Aragón besucht, zählten in Paris zur Kundschaft und waren uns
auch hier in London nicht fremd. Dieser Mann war ein Gelehrter, ich
erkannte es an seinem gebeugten Nacken, an den nach vorn fallenden
Schultern. Er schrieb viel, das verriet mir der Tintenfleck am
Mittelfinger seiner rechten Hand, doch er war viel mehr als nur ein
Schreiber: Er war ein Denker, ein Mann, der das Verborgene hinter den
Dingen herausfinden wollte. Ein gefährlicher Mann, ohne Scheu vor
Häresie und Fragen, der stets mehr wissen wollte; ein Mann, der die
Wahrheit hinter der Wahrheit suchte.
In Spanien hatte ich einen Jesuitenpriester gekannt, der
diesem Mann ähnelte. Er war in das Geschäft meines Vaters gekommen und
hatte gebettelt, er möge ihm
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