Die Holzhammer-Methode
legte. Außerdem hatte er Holzhammers gesetzlich versicherte Schwägerin neulich mit neununddreißig Grad Fieber eine Stunde lang im Wartezimmer sitzen lassen.
«Schon klar», erwiderte der Arzt knapp, packte seine Sachen zusammen und verschwand.
Beinahe gleichzeitig holperte ein altersschwacher Opel Astra auf die Wiese. Holzhammer erkannte sofort das Dienstfahrzeug von Bolko Magiera, dem rasenden Reporter des Lokalradios. Nur wenige Meter dahinter folgte ein wesentlich repräsentativeres Fahrzeug – der schwarze BMW von Dr. Klaus Fischer, Holzhammers Chef. Jetzt folgt die Polizei hier schon der Presse, dachte Holzhammer und überlegte dann, dass das vielleicht gar nicht so abwegig war. Wahrscheinlich kam Fischer von irgendeiner Veranstaltung, auf der auch Magiera als Pressevertreter anwesend war. Dann waren beide gleichzeitig telefonisch hierher beordert worden, und Fischer, der sich in der Gegend noch nicht so gut auskannte, hatte sich an den Reporter gehängt. Nicht nur, um zum Tatort zu kommen, sondern auch, um auf keinen Fall die Gelegenheit zu verpassen, in ein Mikrophon zu sprechen.
Einträchtig kamen beide über die Wiese. Holzhammer erklärte kurz, was los war. Anschließend hielt der Reporter Dr. Fischer sein Diktiergerät unter die Nase.
«Es passiert viel in unseren Bergen. Deshalb ist die lokale Polizeiarbeit so wichtig», schwadronierte dieser. «Und deshalb haben wir bereits Anfang des Jahres eine Aufstockung unserer Mittel beantragt.» Zum Fall selbst hatte er nichts zu sagen, er wusste ja auch nichts. Noch nicht einmal, ob es überhaupt ein Fall war. Der Reporter wirkte enttäuscht. Darum fügte Dr. Fischer als Zugabe noch hinzu, dass die Leiche nach Abschluss der Spurensicherung in die Prosektur des Kreiskrankenhauses überführt und dort bis zur endgültigen Freigabe aufbewahrt werden würde. In diesem Moment rollte der weiße VW -Bus der Spurensicherung auf die Wiese. Mehrere Männer in Plastikanzügen begannen, die Einzelteile des Fallschirms zu fotografieren, zu beschriften und einzusammeln.
«Ihr sagt dann Bescheid, wenn der Tote weg kann?», vergewisserte sich Holzhammer.
«Aber freilich», antwortete der Chef der Spurensicherung. Und das hieß für Holzhammer: Er konnte Feierabend machen, sich endlich wichtigeren Dingen zuwenden. Er konnte zu seiner Baustelle.
An den senkrechten Nordabstürzen des Dürreckbergs schraubten sich zwei Steinadler empor. Ohne einen Flügelschlag kreisten sie im warmen Aufwind und stießen dabei immer wieder ihren überraschend kläglichen Schrei aus: ein hohes Piepsen, das von den Felswänden widerhallte. Noch vor einer Stunde waren sie auf der anderen Seite des Hohen Göll über das Blühnbachtal geschwebt. Doch jetzt, da die Gleitschirmflieger alle gelandet waren, hatten sie sich den Himmel über Berchtesgaden zurückerobert. Die Adler hielten Ausschau, ob sich irgendwo in den steilen Felswänden ein verletztes Tier befand, das sich leicht schlagen ließ. Jetzt im Sommer, da die Gamskitze langsam zu groß wurden, ernährten sich die Steinadler hauptsächlich von Murmeltieren. Das tote zweibeinige Tier auf der großen Wiese mitten in der Schönau hatten die Adler natürlich längst entdeckt – sie konnten einen Kadaver aus einem Kilometer Entfernung erkennen. Aber Kadaver waren weniger interessant als lebende Beute. Und dieser war für sie sowieso unerreichbar. Zum einen, weil dort so viele Menschen herumstanden, und zum anderen, weil ihr Instinkt den Adlern verbot, so weit unten im Tal zu landen.
Doch auch die Adler wurden beobachtet. Auf einem großen Stein am Alpentalsteig saß eine Gestalt und sah ihnen beim Kreisen zu. Schon als Kind hatte sie die Adler oft beobachtet. Und sich unzählige Male glühend gewünscht, sich einfach in die Lüfte zu erheben und davonzufliegen. Die Landewiese der Gleitschirmflieger lag ebenfalls in ihrem Blickfeld, gerade wurden die Überreste des jungen Mannes abtransportiert. Alles verlief nach Plan.
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Die Sonne stand bereits über der Reiteralm, und Christines Dienst war längst zu Ende, aber sie schrieb weiter und weiter an ihrem Gutachten. Noch nie in der Geschichte der Medizin war eine katzenbedingte Panikattacke so ausführlich dargelegt worden. Im Moment erschien ihr jedoch alles verlockender, als sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sie ihren Feierabend verbringen sollte. Nach Hause würde sie auf keinen Fall fahren, so viel stand fest. Erst als sie merkte, dass sie sich bei
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